Der Tag der Rache. Private Berlin
Gottschalk den Ordner reichte, sagte Dietrich: »D as kann nicht wahr sein. Das wäre nach dem Mauerfall herausgekommen. Einen Ort wie das Schlachthaus hätte man nicht geheim halten können.«
Mattie verschränkte die Arme. »N icht wenn alle Unterlagen darüber vor Beginn der Unruhen, also lange vor dem Mauerfall, vernichtet wurden.«
»E s wurden in allen staatlichen Behörden Akten vernichtet«, merkte Weigel an. »J eder wusste das. Für welche hat Falk also gearbeitet? Die Stasi?«
Dietrich sagte nichts. Mattie bemerkte, dass Harald Gottschalk ihn aufmerksam ansah. »E s muss die Stasi gewesen sein«, fuhr Mattie fort. »I m Gefängnis von Hohenschönhausen haben sie Menschen gefoltert und hingerichtet, damit Familienmitglieder gegeneinander aussagten. Essensentzug, Schlafentzug, simuliertes Ertränken.«
»A ber das ist jenseits des Erlaubten«, sagte Dietrich mit leiser Stimme. »V erwerflich.«
»D a haben Sie recht«, stimmte Mattie zu.
Dietrich sah seinen Vorgesetzten an. »H arald, ohne irgendwelche Nachweise…«, begann er mit etwas mehr Überzeugung.
»N achweise?«, schrie Mattie. »S ie haben Augenzeugen! Sehen Sie sie sich an, Herr Dietrich. Sehen die beiden aus, als würden sie lügen?«
Im Verhörraum hielt die kleine Ilona Frei noch immer den schluchzenden Krainer im Arm. »F alk hat meiner Mutter einen Schraubenzieher in den Kopf gestoßen, Ilona. Und ich stand nur da und hab zugesehen.«
Dietrichs Schultern kippten plötzlich so weit nach vorn, dass er aussah wie ein Vogel, der sich im Schatten versteckte. Seine Stimme zitterte. »E s tut mir leid, Harald, ich… ich kann nicht glauben, dass…«
»H err Hauptkommissar«, unterbrach ihn Weigel. »S ie haben alles getan, um die Ermittlungen auf eine andere Spur zu lenken, weg vom Schlachthaus und von Falk. Warum?«
Dietrich wirkte schockiert. »D as habe ich nicht«, wehrte er sich entrüstet. »U nd mit Sicherheit hätte ich keinen Neuling für das Verhör meiner…«
»D och, Sie haben von Anfang an versucht, die Ermittlungen auszubremsen oder zu vereiteln«, schaltete sich Mattie ein. »Frau Weigel sagt, Sie hätten Herrn Burkhart und mich von vornherein als Feinde betrachtet.«
»S ie hat mich falsch verstanden«, schnauzte er. »W arum sollte ich ein Interesse daran haben, so etwas Bescheuertes und Unproduktives zu tun?«
»W eil Ihr Vater, Oberst Conrad Dietrich Frommer, bei der Stasi war«, antwortete Mattie. »U nd weil Sie, Herr Hauptkommissar Dietrich, ebenfalls bei der Stasi waren, bevor Sie Ihren Namen änderten.«
1 08
Dietrich platzte der Kragen. »D as ist eine unverschämte Lüge! Dafür haben Sie keine Beweise.«
Harald Gottschalk verzog gequält und mitleidig das Gesicht. »L eider hat sie Beweise.« Er reichte Dietrich die Fotokopie eines Dokuments. »D as ist deine Bewerbung für die Ausbildung beim Ministerium für Staatssicherheit der DDR als Hans Dietrich Frommer, Sohn von Conrad Dietrich Frommer.«
Dietrich starrte ungläubig auf das Dokument hinab. »D as ist nicht echt. Das ist…«
»D ieses Dokument ist durchaus echt«, widersprach sein Vorgesetzter tonlos. »N achdem Frau Engel und Frau Weigel mit Ilona Frei zu mir kamen, habe ich die Bundesbehörde für die Stasi-Unterlagen darum gebeten, ein paar Nachforschungen für uns anzustellen. Zuerst hat man sich dort gewehrt, doch als ich sagte, meine Bitte betreffe die Ermittlungen in einem aktuellen Mordfall, haben sie uns geholfen.«
Mit steinernem Gesicht legte Harald Gottschalk ein weiteres Blatt vor Dietrich. »D as ist eine Kopie deiner Bewerbung bei der Berliner Kripo, sechs Monate nachdem du deinen Namen geändert hast und dreizehn Monate nach dem Mauerfall. Bei der Bewerbung hast du deine Namensänderung nicht erwähnt. Du hast nichts über das eine Jahr verraten, das du als Mitglied der ostdeutschen Geheimpolizei verbracht hast, Hans. Und du hast nichts über die lange Zeit deines Vaters bei der Stasi gesagt. In deiner Bewerbung hast du geschrieben, dein Vater sei Tischler gewesen, praktischerweise ein toter Tischler.«
Dietrich seufzte und schwieg. Dann blickte er auf– ein gebrochener Mann. »I ch habe verheimlicht, wer ich war, weil ich Polizist werden wollte, wie mein Vater und mein Großvater es gewesen waren. Die Politik war mir egal. Das ist immer noch so. Nur eines hatte ich mein ganzes Leben lang sein wollen– Polizist. Ich habe nur elf Monate als Rekrut bei der Stasi verbracht und meine Waffe niedergelegt, nachdem ich den Befehl
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