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Der Tag der roten Nase

Der Tag der roten Nase

Titel: Der Tag der roten Nase Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikko Rimminen
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blicken.
    Darauf setzte der Mann seinen Weg fort, und ich drückte den Papierstoß an mich und huschte zum Fahrstuhl. Mit dem Aufzuggitter gab es Probleme. Es glitt zu, bevor ich die eigentliche Tür geschlossen hatte, und während ich mit dem Hindernis herumfuhrwerkte, fielen die Papiere auf den Boden der Kabine. Sobald ich die Blätter wieder an der Brust beisammen hatte, wenn auch unordentlicher als zuvor, schickte ich den Lift in die oberste Etage. Der Fahrstuhl war so alt, dass man ihn gut und gern als Elevator hätte bezeichnen können, erfüllte jedoch seine Aufgabe, wie es sich gehörte; rasch war ich im fünften Stock, jedoch immer noch so ratlos wie im Parterre.
    Offenbar war in dem alten Fahrstuhl eine moderne Funktion eingebaut, die ihn automatisch wieder nach unten holte. Sobald er das Erdgeschoss erreichte, hörte man ein gedämpftes Klonksen, worauf es beinahe unnatürlich still wurde. Ich stand auf dem grauen Granitboden und hielt aus irgendeinem Grund die Luft an. Dabei betrachtete ich die Türen ringsum: An zweien hing lediglich ein Messingschild mit dubiosem schwarzem Logo, dann kam der Handarbeiterverband, was eher nach einem vulgären Studentenwitz klang, und das Schild war auch nicht mehr als das, was ein Heimdrucker auszuspuckenin der Lage war. Dann gab es noch einen quälend in die Länge gezogenen Firmennamen, in den man eine irrsinnige Menge an Import, Trade, Consult, Professional, Super und außerdem einen schwedischen Nachnamen hineingestopft hatte. Womöglich spielte hier ein Größenwahnsinniger Stadtimperium in der Realität.
    Und dann passierte plötzlich Folgendes: Als ich gerade zögerlich erwogen hatte, die Hand zur Türklingel auszustrecken, und zu dem Schluss gekommen war, dass es noch mühsamer sein konnte, Leute bei der Arbeit zu stören als solche, die zu Hause hocken, sprang die Tür der Firma mit dem Gestrüpp von Namen direkt vor mir auf. Ich weiß nicht, was es da zu erschrecken gab, aber weil ich nun schon ein bisschen überdramatisch die Luft anhielt, passte es wohl dazu, dass ich auch noch wortwörtlich einen Luftsprung machte. Gleichzeitig entwich mir ein seltsam jaulender Laut, der im Nu durch die Metallgittertür in den Aufzugschacht hallte, dort eine Weile hin und her sprang und schließlich in den fünften Stock zurückkehrte, wie die gedämpfte Erinnerung an meine Schreckhaftigkeit und Idiotie.
    »Ist mit Ihnen alles okay?«, fragte eine weibliche Stimme.
    Ich sah die Frau in der Tür an und spürte, dass meine Augen aufgerissen waren. Einen Moment lang sah sie genauso erschrocken aus wie ich und machte dann Anstalten, die Tür wieder zu schließen.
    »Ja«, schmetterte ich, bevor die Tür ganz zu war. »Die Papiere«, schnatterte ich weiter, »die Papiere sind plötzlich heruntergefallen. Diese blöden Blätter.«
    Inzwischen war der Türspalt auf Gesichtsbreite geschrumpft, aber jetzt stoppte die Bewegung. Die Frau spähtedurch den Streifen und fingerte verstohlen an der Sicherheitskette. Ich schaute sie an. Wir waren sicherlich so ziemlich im gleichen Alter. Sie trug eine Brille mit breitem Gestell und flügelartig auslaufenden Gläsern wie aus den Sechzigerjahren und ein rotes Etuikleid mit weißen Kreisen. Eigentlich sah sie aus wie eine Figur aus einem Film, wie ein Objekt der Bewunderung, aber dann kam mir wieder ihr mit Namensbezeichnungen vollgestopfter Arbeitsplatz in den Sinn, der so dubios wirkte, dass die arme Frau statt mit Nägelfeilen und Stilkapriolen eher damit beschäftigt gewesen sein dürfte, als Sekretärin zu fungieren, als Ehefrau oder auch als Mülleimer, und dazu noch die vernachlässigten Arbeiten des Chefs zu erledigen hatte. Ich selbst hatte so etwas ja auch schon erlebt.
    Gern hätte ich ihr etwas Freundliches und Aufmunterndes gesagt, aber ich kam nicht dazu. »Na, dann ist ja gut«, sagte sie abrupt und schloss die Tür.
    Ich starrte auf den stummen Eingang. Lange musste ich nicht warten, bis die Tür wieder aufging und die Sekretärin brandeilig ins Treppenhaus gewirbelt kam. Ihre Eleganz von eben war verschwunden. Als sie mich bemerkte, brachte sie ihren Kopf abschätzend und zugleich überrascht in Schieflage und krähte: »Aha, Sie sind ja immer noch da.« Dann schielte sie eine Weile ziellos in der Gegend umher, zog die Hand theatralisch an den Mund, spitzte ihre molekülgenau nachgezogenen karmesinroten Lippen und flüsterte: »Jetzt hab ich ganz vergessen, wo ich hinwollte.«
    Als sie die Hand wieder sinken ließ, sah ich,

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