Der Tag der Traeume
ausgesprochen hatte?
Aber vielleicht verschloss sie sich der Wahrheit ja ganz bewusst. Inzwischen kannte er sie nämlich besser, als sie dachte, daher wusste er, dass sie, wenn sie sich gezwungen sah, sich einzugestehen, dass er sie liebte und sie seine Gefühle erwiderte, in ihr übliches Verhaltensschema verfallen und fortlaufen würde.
Aber das würde er nicht zulassen. Nicht, wenn er es verhindern konnte. Rasch überlegte er, wie er jetzt weiter vorgehen sollte. Nur eine Möglichkeit erschien ihm durchführbar – vorerst weiterzumachen wie bisher. Den Spieß umdrehen und sich ein bisschen von ihr zurückziehen. Weiter so tun, als bliebe es bei einer flüchtigen Sommeraffäre und darauf hoffen, dass sie endlich ihre Scheuklappen ablegte und der Wahrheit ins Auge blickte.
Rick hatte sich eben mit seiner Vergangenheit auseinandergesetzt. Kendall brauchte Zeit, um dasselbe zu tun. Wenn er sie zu sehr bedrängte, lief er Gefahr, sie zu verlieren. Brachte er dagegen viel Geduld und Einfühlungsvermögen auf, hatte er vielleicht eine Chance. Hatten sie eine Chance.
Er wusste, wie sehr er sie brauchte, dass er sich ein Leben ohne sie nicht mehr vorstellen konnte. Aber vorerst wollte er sie in dem Glauben lassen, die Beziehung zwischen ihnen sei rein sexueller Natur, während er gleichzeitig alles tun würde, um ihr das zu geben, was sie in ihrem Leben hatte entbehren müssen: eine Familie, Sicherheit, Geborgenheit, Liebe.
Was aus ihm werden sollte, wenn all seine Bemühungen nichts fruchteten und sie sich nicht von dem Entschluss abringen ließ, samt ihrer rebellischen kleinen Schwester nach Arizona zu gehen, darüber wollte er lieber nicht nachdenken.
Elftes Kapitel
Kendall blickte durch das Fenster auf den Bürgersteig hinaus, wo gerade die Tische für den Straßenverkauf aufgestellt wurden. Sämtliche Ladeninhaber, Restaurantbesitzer sowie einige Schülerinitiativen beteiligten sich daran. Aber wenn sich die Schlange, die bei Norman’s nach Kaffee anstand, nicht bald weiterbewegte, würde ein Unglück geschehen. Kendall lechzte geradezu nach Koffein.
»Gott sei Dank ist die Sonne noch rausgekommen. Kannst du dir einen Straßenverkauf im strömenden Regen vorstellen?« Charlotte erschauerte. »Ich selbst mache ja zum ersten Mal dabei mit, aber ich habe gehört, letztes Mal hätten sie die Stände mit Markisen überdachen müssen, und das Wasser wäre an den Seiten nur so heruntergepladdert …« Sie nahm Kendall am Arm und schüttelte sie leicht. »Du hörst mir ja gar nicht zu.«
Kendall zwinkerte und konzentrierte sich auf Charlottes besorgtes Gesicht. »Tut mir Leid. Was hast du gesagt?«
Charlotte lachte. »Schon gut. Du hast sicher andere Dinge im Kopf.«
Nach der Nacht mit Rick ging Kendall tatsächlich mehr im Kopf herum, als ihr lieb war. Ihre Gefühle für ihn wurden immer stärker, und die Enthüllungen über seine Vergangenheit hatten entscheidend dazu beigetragen. Nun, wo sie wusste, dass er verheiratet gewesen war und beinahe Vater geworden wäre, stellte sie an sich leise Anzeichen von Eifersucht fest. Die Vorstellung, eine andere Frau könne ihm einmal viel bedeutet haben, behagte ihr ganz und gar nicht. Unwillig schüttelte sie den Kopf und zwang sich, an etwas anderes zu denken.
»Habe ich mich schon bei dir dafür bedankt, dass du Hannah gestern Abend mit zu dir genommen hast?«, fragte sie Charlotte, um das Thema zu wechseln. Vielleicht fühlte sie sich ja nach einer kleinen Koffeinspritze dazu in der Lage, einigen Tatsachen ins Gesicht zu sehen.
»Erst drei Mal. Ich hab sie gern um mich.«
»Bist du sicher, dass wir von ein und demselben Teenager sprechen? Vorlaut, frech, aufmüpfig?«, vergewisserte sich Kendall. »Und das ist noch schwesterlich-liebevoll gemeint«, fügte sie grinsend hinzu.
»Ich dachte, wir sprechen von dem hilfsbereiten, zurückhaltenden und höflichen jungen Mädchen da drüben.« Charlotte tippte gegen die Fensterscheibe und deutete zu Hannah hinüber, die Beth gerade dabei half, Wäschestücke zu falten und zum Verkauf auszulegen.
»Ein Alien muss von ihrem Körper Besitz ergriffen haben.« Hauptsache, ihre Schwester war glücklich. Und Hannahs breites Lächeln sowie der nicht still stehende Mund ließen darauf schließen, dass es ihr einen Heidenspaß machte, Beth zur Hand gehen zu dürfen.
»Ich glaube, mir fällt es leichter, positive Seiten an ihr zu entdecken, weil ich objektiv bin. Ich bin ja keine Erziehungsberechtigte. Denk daran, wie es bei dir
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