Der Tag der Traeume
die Oberfläche schwappen, wenn er die Geschichte jetzt zu Ende brachte. Es war vielmehr ein unbestimmtes Gefühl des Verlusts, das ihm so zusetzte, nur war ihm das bislang noch nie richtig bewusst geworden. Die Trennung von Jillian hatte für ihn das Ende des Lebens bedeutet, von dem er immer geträumt hatte. Eines Lebens, das er nie haben würde, damit hatte er sich abgefunden.
Zumindest war er davon überzeugt gewesen, bis er Kendall getroffen hatte. Irgendwie hatte ausgerechnet diese ruhelose Vagabundin den Wunsch nach einer Familie wieder in ihm aufleben lassen. Allerdings war sie die Letzte, mit der sich dieser Traum realisieren ließ.
Aber Rick konnte Kendall keinen Vorwurf daraus machen, denn sie hatte von Anfang an kein Hehl daraus gemacht, dass sie an einer festen Bindung nicht interessiert war. Aufgrund ihrer Geschichte war die Angst vor einer Enttäuschung vermutlich stärker als der Wunsch, jemanden zu haben, dem sie vertrauen konnte.
»Rick?«, drängte sie behutsam. »Wenn es dir zu schwer fällt …«
»Nein, nein.« Er konnte sie nicht zum Bleiben zwingen, nur darauf hoffen, dass sie ihre Meinung von sich aus änderte. Ihre Aufrichtigkeit ihm gegenüber verpflichtete ihn dazu, nun seinerseits ganz offen zu ihr zu sein, also nahm er sich zusammen. »Jillian hatte dem Vater des Kindes von ihrer Schwangerschaft erzählt, aber der hatte gerade seinen Abschluss gemacht und meinte, er wäre noch nicht bereit, eine Familie zu gründen.«
»Vielleicht hätte er das freundlicherweise auch seinem Sperma mitteilen sollen«, meinte Kendall voller Abscheu.
»Da kann ich dir nicht widersprechen.« Ricks Lachen klang bitter. »Für eine Abtreibung war es viel zu spät, also warfen ihre Eltern sie aus dem Haus. Eine Szene wie aus einem schlechten Film, nicht wie aus dem wirklichen Leben, zumindest nicht aus dem Leben in Yorkshire Falls. Jedenfalls stand sie plötzlich vor meiner Tür. Ich mietete ein kleines Apartment, sie zog bei mir ein, und von da an nahmen die Dinge ihren Lauf.«
»Das klingt mir alles zu sachlich.« Kendall lehnte sich mit dem Rücken gegen das Geländer und musterte ihn skeptisch.
Sie studierte ihn, als wolle sie nicht nur seine Gedanken, sondern auch seine Gefühle ergründen, fand Rick. Jillian hatte ihn auch recht gut gekannt, allerdings nur oberflächlich. Sie hatte gewusst, dass er ihr aus der Patsche helfen und sie nie im Stich lassen würde, aber sie hatte ihn nie verstanden und sich auch nie dafür interessiert, was in ihm vorging. Für sie zählten nur ihre eigenen Bedürfnisse, und daran hatte sich auch nach der Hochzeit nichts geändert, als die nagende Angst vor einer unsicheren Zukunft verflogen war.
Kendall verhielt sich ganz anders. Ihr lag wirklich etwas daran, die Gründe für seine Handlungsweise zu verstehen, und sein Glück hatte für sie stets Vorrang. Aus Erfahrung wusste er, wie hoch diese Eigenschaft zu bewerten war. Niemand hatte ihn je so gut verstanden wie Kendall es tat, das hatte er von Anfang an gespürt.
»Was du für Jillian empfunden hast, ging über körperliche Anziehungskraft hinaus, nicht wahr?«, fragte sie behutsam und bestätigte so prompt, dass er mit seiner Vermutung richtig lag. Sie durchschaute ihn mühelos. Aber war sie auch im Stande, das Ausmaß seiner Gefühle für sie zu erkennen? Er bezweifelte es, wenn auch nur deshalb, weil er sich darüber bislang selbst nicht im Klaren gewesen war.
Er liebte sie. Höchste Zeit, sich diese nicht länger zu leugnende Tatsache endlich einzugestehen. Er wollte den Rest seines Lebens mit ihr verbringen, weil er sie liebte. Und er hatte keine Ahnung, wie er dieses Ziel erreichen sollte.
Es war nicht Ricks Art, vor einem Problem zu kapitulieren. Er gab eine Sache erst dann verloren, wenn er alles versucht hatte. Seufzend streckte er die Beine aus, so weit der begrenzte Raum es zuließ, und betrachtete Kendall.
Ein leichter Windstoß fuhr durch ihr Haar, während sie ruhig abwartete, bis er sich seine Antwort genau überlegt hatte. Wie sollte er ihr begreiflich machen, was er für seine Exfrau empfunden hatte, wenn er nur daran denken konnte, was er jetzt gerade für sie empfand?
»Wie kommst du darauf, dass ich in Jillian nicht einfach nur eine Freundin gesehen habe, die dringend Hilfe brauchte?«
Kendall zuckte die Achseln, doch er vermutete mehr hinter dieser Geste als ein oberflächliches Abtun seiner Frage. »Du bist zwar der sprichwörtliche Retter in der Not, aber noch nicht einmal du würdest
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