Der Tag der Traeume
konnte er mit Gewissheit sagen. Kendall liebte ihre Schwester und machte sich große Sorgen um sie, da war er ganz sicher. Nur weil Hannah nicht ständig bei ihr lebte hieß das noch lange nicht, dass Kendall sie nicht wollte.
Kendall hatte ursprünglich vorgehabt, nur kurze Zeit hier zu bleiben. Aber nun, da sie für Hannah verantwortlich war, würde ihr wohl nichts anderes übrig bleiben, als den ganzen Sommer in Yorkshire Falls zu verbringen. Was bedeutete, dass Rick zwei weitere Monate mit ihr blieben. Zwei Monate, in denen Kendall und ihre Schwester sich aneinander gewöhnen und ihre jeweilige Vergangenheit aufarbeiten konnten. Vor allem Kendall musste sich mit der ihren auseinandersetzen, sonst konnte Rick jede Hoffnung, sie zum Bleiben überreden zu können, endgültig begraben.
»Warum sind Sie eigentlich so nett zu mir?«, riss ihn Hannahs Stimme aus seinen Gedanken. »Ich meine, ich muss Ihnen doch einen ganz schönen Strich durch die Rechnung machen.«
»Wie bitte?« Er hob eine Braue.
»Sie wissen schon. Sie können nicht …« Sie bohrte die Stiefelspitze in den Schmutz. »Sie können’s nicht machen, wenn ich in der Nähe bin.«
»Niemand hat behauptet, wir würden irgendetwas machen. « Er grinste. »Und ich bin nett zu dir, weil ich dich trotz dieses kleinen Zwischenfalls für ein gutes Mädchen halte.«
Er bemerkte seinen Fehler im selben Moment, als Hannah fauchte: »Ich bin kein kleines Kind mehr!«
»Stimmt. Dann benimm dich auch wie ein erwachsener Mensch, komm mit mir nach Hause und steh zu dem Mist, den du gebaut hast.«
Hannah starrte ihn nur finster an.
»Außerdem klappern dir vor Kälte ja schon die Zähne.« Und Kendall war mittlerweile vermutlich außer sich vor Sorge. »Ich weiß zufällig, dass deine Schwester heißen Kakao zu Hause hat. Vielleicht spendiert sie dir ja einen Becher davon. Wenn du dich entschuldigst.«
»Ich denk drüber nach«, murmelte sie, stand aber auf und schlenderte in Richtung des Parkplatzes davon.
»Hannah?«
Sie blieb stehen und drehte sich um.
»Die Schlüssel bitte.« Rick streckte die Hand aus.
Mit einem genervten Stöhnen zog Hannah die Autoschlüssel aus der Tasche und warf sie ihm zu.
»Kendall kann den Wagen morgen holen. Jetzt möchte ich dir erst einmal einen guten Rat geben.«
»Kann ich Sie daran hindern?«
Rick schüttelte lachend den Kopf. »Kendall liebt dich, Hannah. Und deswegen bin ich der Meinung, du solltest ihr eine Chance geben, statt noch einmal so eine Show abzuziehen wie heute oder sie ständig mit Vorwürfen zu überschütten.«
»Haben Sie immer so gute Ratschläge parat?«, fragte Hannah sarkastisch.
»Meistens. Noch etwas. Ich habe morgen frei. Richte Kendall bitte aus, dass ich euch beide um neun Uhr abholen werde. Im Rahmen des DARE-Programms der Highschool findet bei Norman’s eine große Autowaschaktion statt. Ich bringe dich hin, damit du ein paar Leute in deinem Alter kennen lernen kannst.«
»O Wonne.« Hannah runzelte missmutig die Stirn.
Doch all ihrer aufgesetzten Widerspenstigkeit zum Trotz sah Rick einen Anflug von Dankbarkeit in ihren Augen aufleuchten. Hoffentlich hielt das so lange an, dass auch Kendall heute noch davon profitierte, sie würde im Umgang mit ihrer jüngeren Schwester ohnehin Nerven wie Drahtseile brauchen.
Einen Moment lang fragte sich Rick wehmütig, ob für ihn in Zukunft überhaupt noch Platz in Kendalls Leben sein würde, dann mahnte er Hannah: »Vergiss nicht, dass wir morgen eine Verabredung haben.«
»Wie könnte ich das.«
Rick ahnte, dass Kendall vor Angst halb von Sinnen sein musste, als er endlich vor ihrem Haus hielt. Seine Befürchtung bestätigte sich prompt, denn als Hannah die Auffahrt hinauftrottete, kam Kendall zur Tür herausgestürzt und umarmte sie. Die Erleichterung war ihr deutlich anzumerken.
Zu Ricks Ärger erwiderte Hannah die Umarmung nicht, sondern ließ die Arme schlaff an den Seiten herabhängen.
»Ich habe mir furchtbare Sorgen gemacht.« Kendall trat einen Schritt zurück. »Du hättest dich oder irgendjemanden sonst umbringen können!« Ihre Stimme zitterte.
»Hab ich aber nicht.«
Rick baute sich hinter Hannah auf, verschränkte die Arme vor der Brust und wartete ab. Als das junge Mädchen störrisch schwieg, beschloss er, etwas nachzuhelfen. »Hast du nicht eine Kleinigkeit vergessen, Hannah?«
»Tut mir Leid«, knurrte diese widerwillig.
Kendall seufzte. »Das möchte ich dir wirklich gerne glauben. Wir werden ein paar
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