Der Tag der Traeume
widersprechen sollte. Zweifellos rührte Charlottes Großzügigkeit hauptsächlich daher, weil Kendall mit Rick verbandelt war, und daran wollte sie sich nicht bereichern. Aber so ungern sie es auch zugab, ihre Finanzlage erlaubte es ihr nicht, freiwillig Einbußen hinzunehmen. Außerdem war Charlottes Angebot ihnen beiden gegenüber fair.
Also blickte sie mit einem erleichterten Grinsen auf. »Okay, abgemacht. Und jetzt was anderes. Wusstest du, dass du im Schnitt nur sechs Sekunden Zeit hast, um den Blick eines potenziellen Kunden auf dein Warenangebot zu lenken?«, ging sie unvermittelt zu ihrem nächsten Vorschlag über.
»Das ist eine Lektion des Einzelhandelsgewerbes, die ich sehr schnell habe lernen müssen, besonders in dieser Stadt.« Charlotte lachte. »Worauf willst du hinaus?«
Kendall atmete tief durch, um sich Mut zu machen. Normalerweise erteilte sie keinem Geschäftsinhaber ungebeten Ratschläge, wenn sich dieser erst einmal einverstanden erklärt hatte, ihre Arbeiten in sein Angebot aufzunehmen. In den meisten Fällen behielt der Künstler nämlich nur die Eigentumsrechte an seinen Werken, durfte aber weder hinsichtlich der Auslagegestaltung noch der Vermarktung der Stücke mitreden. Nach einigen unangenehmen Erlebnissen hielt sich Kendall an diese Regel. Aber Charlottes offen zur Schau getragene Begeisterung ließ sie diese Grundsätze ausnahmsweise über Bord werfen.
Wer nicht wagt, der nicht gewinnt, dachte sie. Wenn sie erreichen wollte, dass Charlotte sie wirklich mit einsteigen ließ, wenn sie ihre neue Boutique in D. C. eröffnete, musste sie erst einmal ihre Fähigkeiten unter Beweis stellen. »Ich denke, die Halsbänder kommen an den Schaufensterpuppen am besten zur Geltung. Dekorier dein Schaufenster so um, dass die Auslage die Leute magisch anzieht, und benutz ein paar Schmuckstücke als Blickfang.«
»Hmmm. Gute Idee«, flüsterte Beth Charlotte zu.
»Danke.« Kendall strahlte.
»Hast du sonst noch Verbesserungsvorschläge?« Charlottes Augen leuchteten vor freudiger Erregung.
Kendall zuckte die Achseln. »Rot und Gelb sind die Farben, die am stärksten ins Auge fallen. Kannst du daraus etwas machen?«, fragte sie in dem Bestreben, bei Charlotte weitere Punkte zu sammeln, um den Grundstein für ihre Karriere in Yorkshire Falls zu legen – etwas, womit sie nach ihrem überstürzten Aufbruch aus New York in ihren kühnsten Träumen nicht gerechnet hätte.
»Charlotte hat ein untrügerisches Auge für alles, was den Umsatz steigert. Sieh dir mal die handgehäkelten Höschen da hinten an. Sie entwirft sie selbst.« Beth machte kein Hehl daraus, wie stolz sie auf ihre Freundin und Chefin war.
»Stimmt«, nickte Charlotte. »Und deshalb werde ich Kendalls Ratschläge auch beherzigen. Aber so Leid es mir tut, diese anregende Unterhaltung so abrupt zu beenden – ich muss los, mich mit meinem Mann treffen.«
»Es ist doch erst …« Beth sah auf die Uhr. »Drei Uhr.« Sie musste lachen. »Jung Verheiratete«, stöhnte sie dann.
Charlotte verzog keine Miene. »Ach, und du zählst natürlich nie die Minuten bis Geschäftsschluss, wenn dein Thomas draußen wartet?«
Beth kicherte. »Okay, erwischt.«
»Wisst ihr, irgendwie beneide ich euch beide.« Die Worte waren heraus, ehe Kendall bewusst wurde, dass sie sie laut ausgesprochen hatte.
Charlotte legte den Kopf schief. »Warum denn?« Sie klang aufrichtig interessiert.
Kendall mochte sie zu gerne, um sie mit einer Ausrede abzuspeisen. »Du und Beth, ihr seid schon so lange befreundet, ihr könnt sogar gegenseitig eure Gedanken lesen. Wie Schwestern.« Sie merkte selbst, wie wehmütig ihre Stimme klang. »Vielleicht habe ich auch deswegen das Gefühl, als würde ich euch schon ewig kennen.« Trotzdem stand sie immer noch außen vor, wie sie es ihr Leben lang getan hatte.
Doch dann umarmte Charlotte sie herzlich und sprengte so die letzten Barrieren. »Das ist ja das Schöne an dieser Stadt. Du kommst her oder kommst hierher zurück und gehörst automatisch zu uns.«
»Und es ist nahezu unmöglich, uns wieder loszuwerden«, lachte Beth hinter ihr.
Kendall spürte, wie Tränen in ihren Augen brannten. Stumm erwiderte sie Charlottes Umarmung, dann trat die andere Frau einen Schritt zurück.
»Und jetzt zieht’s mich zu meinem Mann.« Sie schien von innen her zu glühen. »Ihr zwei könnt ja noch in Ruhe die Einzelheiten besprechen.« Sie winkte noch ein Mal und verschwand. Zwanzig Minuten später verabschiedeten sich auch Kendall
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