Der Tag der Traeume
Geschehen vor Normans Restaurant; sah, wie Hannah mit Jugendlichen herumalberte, mit denen sie sich scheinbar auf Anhieb verstand, während Rick in die Rolle des väterlichen Freundes geschlüpft war – vermutlich ohne zu wissen, dass er von den Kids als ein solcher betrachtet wurde.
Für einen Mann, der darauf beharrte, weder heiraten noch eine Familie gründen zu wollen, würde er einen fantastischen Vater abgeben. Bei dem Gedanken musste Kendall schlucken. Seit sie miterlebt hatte, wie gut er gestern mit ihrer mehr als schwierigen Schwester fertig geworden war, war ihr Respekt vor ihm als Mensch noch gewachsen. Und als sie ihn nun im Umgang mit dieser Horde Teenager beobachtete und bemerkte, wie beliebt er bei ihnen war, kam es ihr auf einmal ganz natürlich vor, dass sie sich ein bisschen in ihn verliebt hatte.
Sie schlang die Arme um den Oberkörper, weil sie plötzlich fröstelte. So viele unbeantwortete Fragen, so viele ungelöste Probleme, dachte sie. Sie wusste nicht, was sie mit ihrer Schwester anfangen sollte, wusste nicht, warum Hannah ihre Wut gegen sie richtete statt auf ihre Eltern sauer zu sein. Sie wusste noch nicht einmal, wie sie eine neue Schule ausfindig machen oder ihre Schwester dazu überreden sollte, in ihr altes Internat zurückzukehren. Und vor allem konnte sie sich ihre Gefühle für Rick nicht erklären; wusste nicht, welche Folgen dieser emotionale Zwist für sie und ihre Zukunft als unabhängiger, ungebundener Single haben konnte, die sie sich immer in leuchtenden Farben ausgemalt hatte.
Zeit ihres Lebens war sie ein impulsiver Mensch gewesen, daher auch die ständigen Umzüge. Ganz nach Lust und Laune von einem Ort zum nächsten ziehen zu können hatte für Kendall eine seltsame Art der Sicherheit bedeutet. Nichts und niemand konnte sie so wirklich berühren; wenn sie sich irgendwo zu eingeengt fühlte, zog sie einfach weiter. Und obgleich sie sich nirgendwo in ihrem Beruf je erfolgreich hatte etablieren können, weil sie nirgendwo lange genug geblieben war, war sie finanziell immer zurechtgekommen. Sie hatte gelegentlich als Verkäuferin in Kunsthandwerksläden gejobbt und dort durch Zuhören, Beobachten und Lesen einiges dazugelernt. Genauso hatte sie auch in Sedona vorgehen wollen, um sich auf dem Gebiet des Schmuckdesigns fortzubilden. Doch irgendwie hatte Arizona seinen Reiz verloren, sie dachte längst nicht mehr so sehnsüchtig an ihr Traumziel wie früher.
Weil sie inzwischen Verpflichtungen übernommen hatte. Für eine Frau ohne Wurzeln verband sie mittlerweile ziemlich viel mit der kleinen Stadt, in der sie momentan lebte. Sie besaß ein Haus und war für die Bewohner verantwortlich, die sie nicht aus ihrer gewohnten Umgebung herausreißen wollte, obwohl sie keine Miete zahlten. Sie hatte die Chance, in Charlotte’s Attic ihren Schmuck zu vertreiben und darüber hinaus mit Ricks Schwägerin auch noch in D. C. zusammenzuarbeiten. Sie hatte eine labile, fürsorgebedürftige Schwester, die nirgendwo sonst hinkonnte und sich außer auf Kendall auf keinen Menschen verlassen konnte. Und sie hatte eine Beziehung zu einem ganz besonderen Mann angefangen.
Einem Mann, der sich als überzeugter Junggeselle hinstellte, sie aber unbedingt dazu überreden wollte, über den Sommer hinaus hier zu bleiben und der sich in sein Schneckenhaus zurückgezogen hatte, weil sie nicht freudig auf seinen Vorschlag eingegangen war. Offenbar war er von einer Frau, die ihn verlassen hatte, tief verletzt worden, und da er wusste, dass Kendall gleichfalls nicht bei ihm bleiben würde, hatte er den abbröckelnden Schutzwall um sein Herz rasch wieder aufgebaut. So sehr Kendall diese Barriere zwischen ihnen auch hasste, sie verstand, warum er sie errichten musste.
Und sie hatte keine Ahnung, was sie tun und wie das alles weitergehen sollte. Hilflosigkeit und Angst drohten sie zu überwältigen, sie ballte die Fäuste und hielt nur mühsam die Tränen zurück. Dann holte sie tief Atem. Sie mochte zwar keine konkreten Zukunftspläne haben, aber sie war eine Kämpfernatur. Sie würde eine Lösung finden. So oder so.
Sie blinzelte ins Sonnenlicht, als einer der Jugendlichen Officer Rick, wie sie ihn nannten, kräftig nass spritzte. Er revanchierte sich, indem er einen Eimer Wasser über dem Übeltäter auskippte, was allgemeinen Jubel auslöste. Hannah war mitten im Getümmel, und Kendall musste lächeln.
Trotz aller Probleme, die sich vor ihr auftürmten, gefiel ihr das Leben in Yorkshire Falls. Es war
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