Der Tag des Königs
keine Spur mehr. Wir bumsten. Wie Tiere.
Ich wehrte mich nicht.
Um Sidi möglichst lange zu behalten, musste ich widerspruchslos seine Sexualität hinnehmen. Seine Bewegungen. Seine Stellungen. Sein Ziel: mein Hintern.
Ich kam in sein Arbeitszimmer, das im hintersten Teil des Gartens verborgen war. Ich wusste, was ich zu tun hatte. Wie ihn erregen. Wie ihm seine Gewalt, seine Brutalität entlocken. Seinen Egoismus. Seine Feigheit. Seine schöne Männlichkeit am Rande der Ohnmacht.
Ich brauchte fast zehn Monate, um ihn zu verstehen. Sidi war nicht Sidi. Letztlich war er wie alle anderen. Ein Schönredner wie alle anderen. Ein treuloser Kerl. Hatte er wirklich, wie es andauernd behauptet wurde, auÃerhalb des Hauses viel Macht? Ich bezweifelte es. Ja, er war wie alle anderen, wie alle, alle .â.â. Wie die, die sagten, sie wollten mir wahrhaft Gutes tun. Mich beschützen. Mich lieben. Mich zum Orgasmus bringen. Sie dachten nur an sich selbst. Sie sahen mich nicht. Sie vergewaltigten mich. Aber waren sie sich darüber überhaupt im Klaren? Für sie
war es Routine. Für mich ein schrecklicher Schmerz: ein Verrat. Ein Verbrechen. Bei wem hätte ich mich in diesem Land beklagen können?
Sidi wurde meiner überdrüssig. Er hatte meine ganze Person ausgeschöpft. Ich war reizlos für ihn geworden. Meine körperliche Gegenwart war nicht mehr ausreichend. Ich verschwand nach und nach aus seinen Augen.
Dennoch hing ich weiterhin an ihm und liebte ihn auf meine Art. Mit meinem Körper, ohne meine Worte liebte ich ihn.
Er wusste es. Er sah es.
Er hatte seinen Entschluss gefasst. Er sagte mir nichts. Aber ich sah es genau.
Was tun? Er war der Herr des Hauses. Da ich ihm nun so gut wie nichts mehr bedeutete, war er es wieder geworden. Der Herr. Der mächtige Herr.
Mein Porträt? Es würde für immer unvollendet bleiben.
Ich erwartete das Urteil von einem Tag auf den anderen.
Noch zwei Monate musste ich aushalten.
Zwei Monate Sinneslust? In meiner Vorstellung von der Liebe?
Zwei Monate, um mich wieder an den Niedergang zu gewöhnen, wieder unterwegs zu sein, den gleichen Weg einzuschlagen, den der Flucht.
Zum Glück waren Omar und Khalid da, um mich zu unterstützen. Sie eröffneten mir eine andere Welt. Dank ihrer würde ich eines Tages alles mit anderen Augen sehen. Das Leben anders anpacken. Mich offenbaren. Sprechen. Mit wem?
Wussten sie, was da mit Sidi lief?
Omar ja, ohne jeden Zweifel. Khalid nicht. Nein?
In den letzten zwei Monaten bin ich ihnen sehr viel näher gekommen. Ich sprach nicht mit ihnen. Doch ich be
obachtete sie. Ich wachte auf meine Weise über sie. Ich gab ihnen zu essen, besonders Omar. Ich betrat Khalids Zimmer und sah ihnen zu, wie sie schliefen, der eine an den anderen geschmiegt, der eine im anderen. Ihre Freundschaft schien mir stark, unerschütterlich, losgelöst von den Regeln, und das gefiel mir. Sie waren etwas Besonderes. Sie schrieben eine ganz besondere Geschichte. Ich träumte mit ihnen. Für sie. Fern von ihnen. Immer ferner.â
Â
Ich bin in einem schönen Tal, das in der Nähe des Flusses Bou Regreg endet. Ich gehe auf die andere Seite. Ich komme nur mühsam voran. Ich steuere auf das alte Marokko zu, das Touarga-Viertel in Rabat.
Ich habe gestern in Khalids Zimmer geschlafen. Er war wohlwollend, groÃzügig, sanft.
Das Urteil war verkündet worden. Am Spätnachmittag. Nicht, wie ich erwartet hatte, durch Sidi, sondern durch seine Frau. Lalla, Khalids Mutter. Auch sie wusste Bescheid. Von Anfang an. Sie war sehr deutlich, sehr präzise. Sehr ruhig. Kalt. Zynisch. Hastig. Eine Minute.
Eine Minute, um zu sterben.
»Du bist ein gutes Mädchen. Brav. Ruhig. Gehorsam. Ich habe dir nichts vorzuwerfen, doch Hamid ist deiner überdrüssig geworden. Er will dich nicht mehr sehen. Du musst gehen. Heute Abend. Sofort. Hier ist dein Gehalt für den letzten Monat. Auf Wiedersehen.«
Zweihundert Dirham.
Protestieren? Das kam mir gar nicht in den Sinn. Gerne hätte ich sie jedoch beleidigt. Dazu fehlte mir der Mut. Ich senkte den Kopf. Ich spielte die Untergebene.
Ich packte meine gesamten Habseligkeiten in einen gelben Weidenkorb. Und ich bin aufgebrochen. Ohne mich
von jemandem zu verabschieden. Es war dunkel. Ich wusste nicht, welche Richtung ich einschlagen sollte. Mindestens eine Stunde lang irrte ich um Sidis prunkvolle Villa im Kreis herum. Ich begegnete Khalid.
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