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Der Tag ist dein Freund, die Nacht dein Feind (German Edition)

Der Tag ist dein Freund, die Nacht dein Feind (German Edition)

Titel: Der Tag ist dein Freund, die Nacht dein Feind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Münster
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ineinander greifen, sonst hatte das Buch keine Chancen auf Erfolg. Die Autorin griff nach einem Aktenordner, schlug eine bestimmte Seite auf und überflog noch einmal ihre Notizen zum Spannungsaufbau.
    Sie wollte gerade ihren Computer einschalten, als das Telefon klingelte. Genervt beugte sie sich über den Schreibtisch und nahm den Hörer des Telefons ab, das in einer Ecke des Tisches stand.
    „Ja bitte?“
    „Hier ist Edward Caine vom Anwaltsbüro Caine & Partner in London. Spreche ich mit Miss Emily Watson?“
    Der vertraute englische Akzent ließ Emily zusammenfahren. Es war lange her, dass sie britisches Englisch gehört oder gesprochen hatte. Einem Instinkt folgend erhob sie sich und telefonierte im Stehen weiter, gerade so, als würde sie in Kürze gezwungen sein, zu fliehen. Außerdem gab ihr das Stehen ein erhabenes Gefühl über das Telefon und den Gesprächspartner. Dabei versuchte sie, ihr wild klopfendes Herz zu ignorieren. Ihre Stimme klang plötzlich heiser, als sie antwortete. „Ja, hier ist Emily Watson. Was kann ich für Sie tun?“
    „Nun, ich glaube, ich kann vielmehr etwas für Sie tun, Miss Watson. Ich vertrete Ihre Mutter, Mrs. Emma Watson.“
    Emily gefror das Blut in den Adern. Seit sechs Jahren hatte sie nichts von ihrer Mutter gehört, außer den Karten, die sie in den ersten drei Jahren nach ihrem Weggang zu Weihnachten erhalten hatte. Dass die Post aus England irgendwann verstummte lag wohl nicht zuletzt daran, dass sie nie erwidert wurde. Emily hatte eiserne Funkstille gehalten.
    Warum nur wurde sie jetzt von ihrem Anwalt angerufen?
    „Stimmt etwas nicht mit meiner Mutter?“
    Eine Weile herrschte Stille am anderen Ende der Leitung. Emily konnte regelrecht hören, wie der Anwalt nach den richtigen Worten suchte. Schließlich hielt sie es nicht länger aus und beschloss, ihm auf die Sprünge zu helfen.
    „Ist meine Mutter krank?“
    „Nein, nicht ganz. Ihre Mutter ist… nun, sie ist vorgestern verstorben. Es tut mir sehr leid, Miss Watson.“
    Tödliche Stille lag plötzlich in der kleinen Wohnung. Sogar der Straßenlärm schien verstummt zu sein. Emily hörte nicht einmal mehr das Ticken der kleinen Uhr, die mittig auf ihrem Glastisch stand.
    „Wie…“ Es war kaum mehr als ein Flüstern. Ihre Kehle war ausgetrocknet, sie sah sich verzweifelt nach ihrer Tasse Kaffee um. Doch dann brachte sie es nicht fertig, einen Schluck zu trinken. Etwas zu sich zu nehmen, kam ihr plötzlich falsch vor. Ihre Mutter war tot. Da konnte sie doch nicht einfach etwas trinken. Von Essen ganz zu schweigen. Hatte sie überhaupt noch das Recht, weiter zu atmen? Davon abgesehen… war jetzt nicht der Augenblick gekommen, in dem man normalerweise in Tränen ausbrach und vollkommen verzweifelt das Telefon weglegte?
    „Äh… wie bitte? Entschuldigung, ich habe Sie nicht verstanden. Könnten Sie das noch einmal wiederholen?“ Mr. Caine hatte etwas gesagt, doch es war ungehört an ihr vorüber gezogen.
    „Die Todesursache konnte noch nicht eindeutig festgestellt werden. Eine Nachbarin fand ihre Mutter in den späten Abendstunden, als sie zu einer abendlichen Verabredung nicht gekommen war. Man geht bislang von einem Herzversagen aus, die Autopsie wird Näheres zeigen.“
    „Okay.“
    „Miss Watson, für die Autopsie brauche ich Ihr schriftliches Einverständnis. Darf ich Ihnen das Formular faxen? Sie können es dann per Post unterschrieben zurückschicken.“
    „Das wird nicht nötig sein. Ich werde persönlich nach London kommen.“
    Es war heraus, bevor sie darüber nachgedacht hatte. Doch als ihr die Bedeutung der Aussage bewusst wurde, schien es tatsächlich das einzig Logische zu sein. Die Autopsie musste gemacht, die Angelegenheiten ihrer Mutter mussten geregelt werden. Eventuell gab es ein Testament, das eröffnet werden musste. Emily hatte keine Ahnung, was auf sie zukommen würde. Und das Schlimmste war: Sie war alleine. Außer ihrer Mutter gab es keine Familienangehörigen mehr. Sie hatte keine Freunde mehr in England, und einen Mann gab es auch nicht in ihrem Leben, auf den sie hätte bauen können. Sie konnte nicht einmal mit Bestimmtheit sagen, dass sie nach England fliegen wollte . Sie spürte auch keine Trauer. Vielmehr glaubte Emily, dass das etwas war, was man wohl in so einer Situation einfach tat.
    „Sind Sie sicher, dass Sie so schnell herkommen können?“
    Emily nickte. „Ich bin Lehrerin. Eine andere Kraft wird mich vertreten. Geben Sie mir bitte Ihre genaue Adresse und

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