Der Tag ist dein Freund, die Nacht dein Feind (German Edition)
bis sie am ganzen Leib zitterte . Sie wagte nicht einmal sich vorzustellen, auf welche Art und Weise genau Roy sie töten würde, geschweige denn, wie es sich anfühlen und ob sie Schmerzen haben würde. I hr Herz begann, zum Zerspringen zu hämmer n und ihre Hände w aren eiskalt . Doch irgendwann, sie vermochte nicht zu sagen, ob es nur zwei Minuten oder fünfzehn waren, verspürte Emily eine imme r stärker werdende Ruhe in sich. Die Ruhe der Unausweichlichkeit.
Vielleicht war es ihr vorbestimmt. Ihre ganze Familie war ausgerottet, nur sie war übrig. Und hinter dieser Tür wartete der Mann, wartete die Kreatur, die für diesen Umstand verantwortlich war. Es musste ihr vorbestimmt sein. Ihre Mutter hatte sie mit ihren letzten Hinweisen hierher geführt. Es lag in Emilys Hand, das Schicksal der Familie Watson zu ändern, und sie wollte sich dieser Aufgabe stellen , auch wenn es bedeutete, kläglich zu scheitern . Vielleicht erhielt sie so aber auch die Chance, einmal ihren Enkelkindern das Märchen von der Heldin , die ihre Familie so mutig gerettet hatte, erzählen zu können.
Als Emily gerade anfangen wollte, sich ihre zukünftige Familie vorzustellen, ging die Tür plötzlich wieder auf, hinter der Gene vor Stunden, wie es ihr schien, verschwunden war. Er kam nicht selbst wieder heraus. Stattdessen stand sie plötzlich einer fremden Schönheit gegenüber, deren langes, schwarzes Haar in leichten Wellen bis zu ihr en Hüften fiel. Dunkelgrüne Augen musterten sie forschend und ein süffisantes Lächeln breitete sich langsam um die Mundwinkel der Vampirfrau aus.
„Soso. Du bist also die letzte verbliebene Watson. Und traust dich tatsächlich in die Höhle des Löwen. Du musst entweder sehr mutig oder sehr dumm sein.“
Emily stand auf, atmete noch einmal tief durch und sah die Frau kalt an. „Können wir den Smalltalk lassen? Ich würde jetzt gerne mit Roy sprechen.“ Sie schrak bei ihren eigenen Worten zusammen. Es hatte mutig klingen sollen, doch ihr wurde bewusst, dass sie sich im Angesicht des Todes im Ton vergriffen und die Fremde gereizt hatte.
Die Vampirfrau lachte leise auf. „Glaubst du ernsthaft, du bist in der Position, Wünsche zu äußern? Aber du hast Glück. Er möchte dich sehen.“
Von der anderen Seite der Tür her hörte man plötzlich eine tiefe, volltönende Stimme , bei der Emily ein kalter Schauer den Rücken hinunter lief . Die Stimme drang ihr bis ins Mark und schien ihren Körper von innen heraus vibrieren zu lassen.
„Miranda, es reicht. Schick sie rein.“ Die Fremde gehorchte augenblicklich und bedeutete Emily mit einer Handbewegung, in den Salon einzutreten.
Die Menschenfrau tat, wie ihr geheißen war, und ging mit zitternden Knien ihrem Schicksal entgegen. Als sie sich noch einmal umdrehte, hatte Miranda die Tür bereits lautlos hinter sich geschlossen und war verschwunden.
Emily sah sich um, konnte Roy aber im ersten Moment nirgendwo entdecken. Der Raum erstickte beinahe vor Kissen, Vorhängen und schweren Möbeln. Das gesamte Mobiliar war aus Mahagoni und sicher einige Jahrhunderte alt. Die schweren roten Samtvorhänge, die statt Fenstern wertvolle Gemälde umrahmten, und die zahlreichen , bestickten Kissen, die auf dem Sofa, den Sesseln und dem riesigen Himmelbett lagen , das den hinteren Bereich des großen Raumes bestimmte , komplettierten das Bild, das zu einem englischen Grafen oder zu einer ehrwürdigen Königin gepasst hätte .
In dieser Sekunde stand Roy wie aus dem Nichts plötzlich direkt vor Emily, nicht einmal einen halben Meter entfernt. Mit einem leisen Keuchen des Erschreckens wich sie zurück und fiel beinahe über einen kleinen Beistelltisch.
„Emily! Freut mich, dass dir meine Einrichtung gefällt. Ich mag es rustikal.“ Er hielt plötzlich mitten in der Bewegung inne und starrte der jungen Frau fassungslos ins Gesicht.
Ewigkeiten sah der Vampir sie einfach nur an, musterte intensiv ihre Züge. D ann kam er schließlich näher und klemmte ihr vorsichtig eine Haarsträhne hinter das rechte Ohr, bevor seine Handfläche sanft über ihre Wange glitt. Seine Stimme war nicht mehr als ein Flüstern.
„Das ist doch nicht möglich…“
Emily erstarrte und ließ es überrascht geschehen . Der Vampir reagierte völlig anders auf ihre Anwesenheit, als zu erwarten gewesen wäre . Edwina und Gene hatten sie vor ihm gewarnt, ihn als rachsüchtig und brutal dargestellt. Und nun stand dieser Mann vor ihr, blickte ihr mit einer Mischung aus Zärtlichkeit,
Weitere Kostenlose Bücher