Der Tag ist dein Freund, die Nacht dein Feind (German Edition)
ließ sie die Zeit seit ihrer Ankunft in England Revue passieren und fragte sich, ob es an irgendeinem Punkt möglich gewesen wäre, die Richtung zu ändern. Doch wie sie es auch drehte und wendete, einen Ausweg hätte es nicht gegeben. Sicher hätte sie direkt nach der Testamentseröffnung zurück fliegen können. Doch die unbekannte Gefahr hätte sie begleitet, und Roy wäre zeit ihres Lebens auf der Suche nach ihr gewesen. Und Emily war sich sicher: A uch in New York hätte er sie irgendwann gefunden und dann vielleicht nicht nur sie getötet, sondern auch ihren Mann und ihre Kinder, wenn sie bis dahin welche gehabt hätte. Wahrscheinlich aber wäre der Vampir ihr sofort nach New York gefolgt, da er sie in London ja schon gewittert hatte.
Ihr Schicksal war von Geburt an mit den Vampiren verwoben und sich dem zu stellen, war die einzige Möglichkeit gewesen , zu überleben .
Als sie eine Kurve über Fulham flogen und Emily das im Vergleich zu London dürftige Lichtermeer ihre s Heimat ortes betrachtete, dachte sie wehmütig an die Zeit zurück, in der ihr Vater noch lebte und das Familienleben in ihrem Elternhaus harmonisch war. Ihr Kontakt mit der Außenwelt war es nie gewesen. Roys Stimme riss sie unvermittelt aus ihren Gedanken.
„Wir sind gleich da. Halt dich gut fest, ich gehe in Sinkflug.“
Es klang wie die Anweisung eines Piloten, und tatsächlich flogen sie nun nicht mehr horizontal, sondern leicht mit den Köpfen nach unten geneigt. In dieser Position hatte Emily einige Mühe, sich an Roy fest zu halten, und auch ihre Tasche kippte ein wenig vornüber und ließ sie schwer werden. Die junge Frau keuchte schwer unter der Last und krallte sich mit aller Kraft in Roys Schultern.
„Wir haben es gleich geschafft, halte noch einen Moment durch.“ Er verstärkte seinen Griff um ihre n Rücke n, als er zielsicher mitten auf eine Baumgruppe des Hide Parks zu steuerte, wo sie schließlich verhältnismäßig sanft aufsetzten.
„Schnell. Bevor man uns entdeckt.“ Roy flüsterte nur und gemäß seiner Anweisungen folgte Emily ihm schweigend. Sie war sich ziemlich sicher, dass um diese Uhrzeit niemand im Park war, doch vielleicht wusste Roy von VHA-Agenten , die hier pat t roulierten , von denen sie nichts wusste.
Er öffnete plötzlich eine Klappe mitten im Gestrüpp, die sie selbst , von Wurzeln und Ästen verdeckt, nie entdeckt hätte, und winkte Emily zu sich.
„Hier rein. Beeil dich.“
Kaum war sie die schmale Wendeltreppe ein Stück herunter gegangen, hörte sie über sich die Klappe leise zuschlagen und spürte den Vampir direkt hinter sich.
„Roy, ich sehe nichts! Hier ist es stock dunkel!“ Sie flüsterte es nur und rührte sich keinen Schritt mehr weiter, aus Angst, eine nicht enden wollende Treppe hinunter zu fallen.
„Ach Mist, du siehst ja nichts im Dunkeln. Warte.“
Emily atmete hörbar ein, als Roy sich an ihr vorbei schob und sich dabei für Sekunden fest gegen sie pressen musste, weil die Treppe eigentlich viel zu schmal für zwei Personen war.
„Nimm meine Hand und folge mir. Es geht noch ungefähr zwanzig Stufen hinunter, dann kommt ein Gang.“
Unsicheren Schrittes tastete sich Emily hinter Roy die Treppe hinunter und hielt dabei seine Hand fest, um nicht die Orientierung zu verlieren. Dann spürte sie erleichtert wieder festen Boden unter ihren Füßen. Sekunden später flammte eine Fackel auf, die Roy ihr reichte.
„Hier, jetzt siehst auch du was.“
Der Gang schien kein Ende nehmen zu wollen und ging an mehreren Stellen um die Ecke, bis Emily glaubte, sich nur noch im Zickzack quer unter London hindurch zu bewegen.
„Roy, wo gehen wir denn hin? Wo sind wir hier?“
Statt zu antworten, stieß der Vampir die Türe auf, die plötzlich vor ihnen auftauchte. Der Gang hatte endlich ein Ende. Überrascht sah Emily, dass sie wieder in der Unterkunft standen, die sie vor Tagen verlassen hatte, und zwar in einer Nische von Roys Räumlichkeiten.
„Warum sind wir wieder hier? Sagtest du nicht, die VHA observiert die Unterkunft ? Dann sind wir hier in Lebensgefahr!“
Roy nickte und sah sich dennoch zufrieden um. „Okay, einen Teil der Möbel haben sie schon weg geschafft. Jetzt bleibt nur abzuwarten, ob sie den Rest auch noch holen, oder ob die Zeit fehlte.“
„Roy, hast du gehört, was ich gesagt habe? Was machen wir hier?“
Er drehte sich zu Emily um und sah ihr ernst in die Augen. „Unglücklicherweise haben wir keinen anderen Ort, an den wir gehen könnten. Die
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