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Der Tag ist hell, ich schreibe dir

Der Tag ist hell, ich schreibe dir

Titel: Der Tag ist hell, ich schreibe dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Langer
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Carsten Willms. Er war groß, hatte eckige Schultern und war sehr dünn, er trug ein weißes Leinenhemd und helle Cordhosen. Jonathan Kepler wirkte klein neben ihm, und zusammen hatten sie etwas von älteren Studenten, herausfallend aus der Menge der dunklen Anzugträger mit Schlips, die nun von allen Seiten auf den stillgelegten Dampfer auf dem Potomac River zuströmten, auf dem die Conversbank zu einem Umtrunk einlud.
    » Gibt’ s was Neues?«, fragte Jonathan Kepler seinen Freund.
    Große Aufregung im Vorfeld dieser Tagung hatte es gegeben, weil der IWF Bolivien einen Kredit gewährt hatte, mit dem das Land seine eigenen Schuldscheine auf dem sogenannten Sekundärmarkt für eine geringe Summe kaufen konnte, um sie dann weiterzuverkaufen. Derjenige, der diese Schuldscheine auf dem Markt kaufen würde, hatte dann das Recht, die gesamte Schuldensumme bei Bolivien einzufordern. Damit war ein internationales Tabu gebrochen worden, das bis dahin unterbunden hatte, dass Schuldscheine handelbare Papiere würden, Angebot und Nachfrage unterworfen.
    Carsten Willms erklärte seinem Freund einige Details, während Jonathan Kepler sich immer wieder mit einem Taschentuch den Schweiß von der Stirn wischte.
    » Interessanter Anzug übrigens«, grinste Carsten Willms.
    » Lach mich nicht aus«, sagte Jonathan Kepler, » den hab ich mir vor Jahren in Indonesien maßschneidern lassen. Es ist mein einziger, ich bin froh, dass der noch passt!«
    Carsten Willms pfiff durch die Zähne, sie lachten.
    » Hast du eine Krawatte mitgebracht? Ohne Krawatte kommst du hier nirgends rein.«
    » Mist. Die hab ich vergessen.«
    » Hab ich mir schon gedacht.« Carsten Willms griff in seine Jackentasche und zog eine zusammengerollte, grüne Krawatte heraus.
    Ein bärtiger Kapitän begrüßte die Journalisten, und eine Dixieland-Kapelle spielte zu Buletten und Bier. Carsten Willms hatte Verbindungen zu sämtlichen großen Tageszeitungen, Maoist hin oder her; er wurde oft angerufen und um Hintergrundinformationen gebeten, an die man schwer herankam. Er stellte Jonathan Kepler vor; die Kollegen grinsten spöttisch, als sie hörten, für welches Blatt er da war. Man wusste nicht recht, wie ernst man diese Zeitung nehmen sollte, deren Mitarbeiter alle das Gleiche verdienten.
    Die beiden setzten sich. Ein auffallend unauffälliger Mann sagte: » Hi, Paul Scott.«
    » Hi«, sagten Jonathan Kepler und Carsten Willms.
    » Paul ist auf Geheimdienste und Korruption in Afrika spezialisiert«, erklärte Carsten Willms. » Er weiß alles, wer wo in den Ex-Kolonien die Finger im Spiel hat und bei welchen Clans welches Geld verschwindet, das eigentlich in die Entwicklungshilfe gesteckt werden soll.«
    » Aha«, murmelte Jonathan Kepler und biss in die Bulette. Carsten Willms und Paul Scott fingen an zu fachsimpeln, er aß und hörte ihnen zu. Paul Scott senkte im Gespräch immer wieder die Augenlider, als wäre er schläfrig, und fuhr sich über die Stirn, als wäre er verwirrt. Jonathan Kepler hatte das Gefühl, er spreche absichtlich langsam und undeutlich, um trotteliger zu wirken, als er war. Damit kitzelt er den Leuten wohl seine Informationen heraus, dachte er. In jedem Fall äußerte er vage Vermutungen lieber als Namen, Fakten und Zahlen.
    » Alle regen sich übrigens auf«, sagte Paul Scott mit leichtem amerikanischen Akzent und fixierte Jonathan Kepler einen Moment lang, » weil der Chef der Deutschen Aufbau am Sonntag eine Extratour vorhat.«
    Jonathan Kepler zuckte zusammen. » Welchen Chef meinst du?«, fragte er.
    » Julius Turnseck natürlich.«
    » Ach, und inwiefern?«
    » Ich habe es vorhin an der Rezeption aufgeschnappt. Er diskutierte mit seinem« – er deutete Anführungszeichen in der Luft an – » Chef-Kollegen.«
    » Was hat er denn vor?«
    » Er besucht«, Paul Scott genoss eine kleine Pause, » den mexikanischen Präsidenten.«
    » Aha«, machte Carsten Willms und bestellte drei Bier bei einer Kellnerin. » Das dürfte allerdings interessant sein. Über einen Kredit für Mexiko soll eine Entscheidung fallen, und zwar bis Montagabend.«
    Jonathan Kepler wurde unruhig. Er berichtete regelmäßig über Banken, und er verfolgte seit einiger Zeit, dass die Deutsche Aufbau in auffallend vielen Aufsichtsräten eigene Leute unterbrachte, zu vielen, wie er fand; zugleich beobachtete er, dass Julius Turnseck zum Ärger der anderen Banker offensichtlich Spaß daran hatte, mit Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen zu kommunizieren. Bei der letzten

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