Der Tag ist hell, ich schreibe dir
Jonathan Kepler.
» Besser als die da«, antwortete Carsten Willms. Herren der Conversbank und der Hannoveranischen Zentralbank eilten in grauen und braunen Anzügen an ihnen vorüber, mit schmalen Aktentaschen.
Die Journalisten, unter denen es nur zwei Frauen gab, saßen an langen, mit weißem Tuch und mit viel Silber eingedeckten Tischen. Es gab Caesar’s Salad mit Croutons und Thousand Island Dressing, dann fangfrischen Hummer aus Maine, den Jonathan Kepler mit geschlossenen Augen auf der Zunge zergehen ließ, und anschließend ein Filet » green pepper«. Dazu wurde sehr kühler, sehr guter Sauvignon von der Westküste serviert.
» Bei solchen Bestechungsmitteln hat man eigentlich gar keine Lust mehr, sich die trockenen Statements der Banker anzuhören«, sagte Jonathan Kepler, der den Alkohol schon etwas spürte.
Der smarte Pressesprecher begrüßte die Journalisten. Es waren nur deutsche, als sogenannte » in group« ausgewählte Insider; für die internationale Presse gab es eine eigene Veranstaltung. Zwischen Salat und Hummer hielt Vorstandssprecher Ernst Lowitz eine fünfzehnminütige Ansprache zum » weltweiten Engagement« seiner Bank, und Jonathan Kepler tauchte innerlich ein wenig ab. Dabei beobachtete er Julius Turnseck, der ruhig und konzentriert wirkte, nur manchmal den Mund etwas unwillig verzog. Er hatte die beiden Ellbogen aufgestützt, die Hände ineinander verschränkt und hielt den Kopf leicht gesenkt darüber. Jonathan Kepler fühlte sich auf seltsame Weise zu diesem Mann hingezogen.
Nach dem Filet » green pepper« und vor dem angekündigten Dessert erhob sich Julius Turnseck und knöpfte das Jackett an der Taille zu. » Sehr verehrte Damen und Herren«, begann er, » als Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg vollkommen zerstört daniederlag, gab es, wie Sie wissen, verschiedene Aufbauprogramme. Wie sich vielleicht einige ältere unter Ihnen zumindest erinnern können, hatte Deutschland, das den Krieg begonnen hatte, hohe Schulden. Schulden bei den Ländern, die es angegriffen und in verheerender Weise zerstört hatte. Es hatte diese Schulden völlig zu Recht. Es galt, eine schwere Schuld abzutragen.«
Die Journalisten, die bislang nur mit halbem Ohr gelauscht hatten, horchten auf.
» Nun wurde von den Alliierten 1953 eine Konferenz einberufen, die als Londoner Schuldenkonferenz bekannt geworden ist.«
Es wurde so still, dass man das leise Rauschen der Klimaanlage hören konnte.
» Obwohl Carl Joachim, der langjährige Vorstandssprecher unserer Bank, mit den Nationalsozialisten teilweise zusammengearbeitet hatte, wurde er von den Alliierten als Vertreter des Landes, als den Adenauer ihn geschickt hatte, akzeptiert und angehört. Denn kaum ein anderer wusste so präzise über die finanzielle Situation der jungen Bundesrepublik Bescheid.«
» Was soll das denn?«, zischte ein Kollege am Tisch von Jonathan Kepler. » Kriegen wir jetzt eine Deutschstunde erteilt, oder was?«
» Pst«, zischte Carsten Willms ihn an. Sein Vater hatte als Wissenschaftler für die Nazis gearbeitet; das Thema interessierte ihn.
» Damals erläuterte Carl Joachim den Alliierten Mächten, dass das Einkommen des sich im Wiederaufbau befindenden Landes noch so gering sei, dass eine Abbezahlung der ohne jeden Zweifel voll und ganz anerkannten Kriegsschuld, wenn sie über fünf Prozent der Exporte hinausging, den Schuldner in die Leistungsunfähigkeit treiben würde. Carl Joachim legte die Situation vollkommen nüchtern dar. Er erinnerte daran, dass die Kriegsschulden nach dem Ersten Weltkrieg durchaus dazu beigetragen hatten, dass Deutschland sich auf Hitler eingelassen und den Zweiten Weltkrieg angefangen hatte. Die Alliierten Mächte hörten sehr genau zu. Sie berieten sich. Sie verhandelten. Sie verkündeten das Ergebnis: Deutschland wurde ein nicht unbeträchtlicher Teil seiner Schulden erlassen. Eine Schuld, die die moralische Bedeutung des Wortes Schuld voll erfüllte und doch durch Geldzahlungen allein nicht abzutragen war.« Er machte eine kurze Pause, um die Spannung zu erhöhen. » Sehen Sie, meine Damen und Herren, wir gehören heute zu den führenden Wirtschaftsmächten dieser Welt. Ohne die Londoner Schuldenkonferenz wären wir nicht da, wo wir heute stehen. Wir sind heute in der Lage, wir können heute darüber entscheiden, ob andere, arme Länder an unserem Reichtum teilhaben können oder nicht, ob sie in den Ruin stürzen oder nicht.«
Er hielt kurz inne und sah auf seine Uhr. Inzwischen war
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