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Der Tag ist hell, ich schreibe dir

Der Tag ist hell, ich schreibe dir

Titel: Der Tag ist hell, ich schreibe dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Langer
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Revers klemmen. Julius Turnseck nahm es ihm ab und hielt es in der Hand. Jonathan Kepler drückte die Aufnahmetasten, Rec und On, nahm seinen Notizblock und eröffnete das Interview mit der Bemerkung, ein Kollege hätte am Abend zuvor erzählt, dass amerikanische Banker Julius Turnseck einen » innovativen Softie« genannt hätten.
    » Stimmt das?«, fragte er. » Sind Sie ein innovativer Softie?«
    Julius Turnseck grinste kurz, bevor er antwortete. » Ich bin an Innovationen interessiert, die über den Tag hinausreichen«, sagte er.
    » Die anderen Banker behaupten, dass die Zahlungsmoral mit dem Verzicht auf Teilforderungen untergraben werden könnte. Kommt denn jetzt Peru nicht als nächstes Land und bittet darum, auf Forderungen zu verzichten?«
    » Peru zahlt überhaupt nicht mehr, schon seit einiger Zeit«, sagte Julius Turnseck äußerst ernst. » Die Bundesregierung hat bereits Schulden gestrichen, und zwar in einer Höhe von mehreren Milliarden, bei den allerärmsten Ländern wie Bolivien, Peru und Äthiopien.«
    Jonathan Kepler hörte zu und stellte seine Fragen. Er konnte nicht fassen, dass Julius Turnseck tatsächlich vor ihm stand und mit ihm sprach. Man merkte dem Bankier kaum an, dass er soeben einen riesigen Schwall Ärger abbekommen hatte und vermutlich noch mit einigem Ärger zu rechnen hatte. Stattdessen sah er Jonathan Kepler ruhig und nachdenklich an.
    » Wir Banken haben es ja eher mit den Schwellenländern zu tun, die bereits mit Aufbauprogrammen arbeiten, um mit eigener Hilfe etwas auf die Beine zu stellen. Mir geht es vor allem darum, den Ausverkauf der Schulden zu verhindern, der de facto auf einen Zinsverzicht der Banken hinauslaufen und zugleich den Ländern einen enormen Schaden zufügen würde. Eine völlig rationale Überlegung also, die mit Moral zunächst einmal gar nichts zu tun hat. Ich habe nicht von einem völligen Verzicht auf unsere Forderungen gesprochen. Allerdings, so wie die Verhandlungen aktuell geführt werden, könnte es auf einen teilweisen Verzicht hinauslaufen.«
    » Sind Sie nicht den amerikanischen Banken voraus, weil Sie Rücklagen gebildet haben? Sind Sie dadurch nicht in einem enormen Wettbewerbsvorteil?«
    Julius Turnseck lächelte anerkennend. » Gut gedacht«, sagte er. » Ich kann den amerikanischen Kollegen nur dringend raten, Rücklagen zu bilden. Auf dem Weltmarkt wird mehr und mehr mit ungedeckten Schecks gearbeitet, mit faulen Schulden und anderem. Früher oder später wird es da zu gehörigen Liquiditätsproblemen und Einbußen kommen. Eine Bank muss ihre Kunden davor schützen. Es geht ja auch um unsere eigene Glaubwürdigkeit. Und was die faulen Schulden betrifft, ist mein Vorschlag der, die Discountpreise gewissermaßen aufzustocken.«
    » Muss ein Land erst am Boden liegen, damit Sie ihm helfen?«
    » Nein. Wir möchten daran arbeiten, dies zu verhindern.«
    Ein Mann näherte sich, offenbar der persönliche Assistent, und teilte Julius Turnseck aufgeregt mit, dass man auf ihn warte. Julius Turnseck schüttelte Jonathan Kepler die Hand. » Hat mich gefreut, Sie kennenzulernen. Kommen Sie mich in Frankfurt interviewen oder wenn ich das nächste Mal in Berlin bin. Ich freue mich. Und grüßen Sie mir Berlin!«
    Jonathan Kepler sah ihm hinterher. Er freute sich über sein anerkennendes » gut gedacht«, obwohl er es auch überheblich finden konnte. Aber so empfand er es nicht. Julius Turnseck fiel aus der Ansammlung abgehobener Herren völlig heraus. Er war weder arrogant noch verstellt. Es würde nicht leicht sein, dies einigen Leuten seiner Redaktion zu vermitteln, denen der Bankier als Inbegriff des » bösen Kapitals« galt.
    Jonathan Kepler musste es gar nicht rechtfertigen. Er war, wie sich herausstellte, der einzige Journalist, dem Julius Turnseck bei dieser Tagung ein Interview gegeben hatte. Und das wusste man bei seiner Zeitung sehr wohl zu schätzen.
    Am nächsten Tag war Julius Turnseck nicht bei der Pressekonferenz der Bankenvereinigung anwesend. Er saß im Flugzeug nach Frankfurt am Main. Ernst Lowitz musste seinen Vorstoß verteidigen. » Erst mal sehen«, sagte er kühl und gefasst, » es handelt sich ja zunächst einmal um eine interessante Anregung.«
    In einer Bank wie der Deutschen Aufbau hielt man zueinander. Was hinter den Kulissen stattfand, ging niemanden etwas an.
    Jonathan Kepler wiederum, am Abend noch leicht berauscht von seinem Überraschungscoup, schloss eine Wette ab. Er saß mit seinem Freund Carsten Willms, Paul Scott und

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