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Der Tag ist hell, ich schreibe dir

Der Tag ist hell, ich schreibe dir

Titel: Der Tag ist hell, ich schreibe dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Langer
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einigen anderen zum Abschied zusammen. Sie hatten die Jacketts ausgezogen und die Krawatten weggepackt und tranken Bier.
    » Der hat sich die Chance jetzt verspielt, alleiniger Sprecher zu werden, wenn der Lowitz nächstes Jahr in Rente geht«, sagte Jürgen Bakow, ein Rundfunkreporter aus Köln.
    » Ein Bankier in Rente«, sagte Carsten Willms, » den möchte ich mal sehen.«
    » Na ja, aber der muss doch zurücktreten, ehernes Gesetz, mit fünfundsechzig ist Schluss!«
    » Von zig Aufsichtsräten und ich weiß nicht was abgesehen.«
    » Trotzdem«, sagte Jürgen Bakow, » der wird kein alleiniger Sprecher. Das hat er sich jetzt verspielt. Blöd nur, dass darüber überhaupt spekuliert wurde, also blöd für ihn.«
    » Stimmt«, sagte ein anderer. » Der ist weg vom Fenster.«
    » Ich wette dagegen«, sagte Jonathan Kepler munter. » Ich wette, der setzt sich durch! Genau deswegen, genau weil er diesen Vorstoß gemacht hat!«
    Alle sahen ihn verblüfft an.
    » Biste verliebt oder wat?«, fragte ein Berliner Kollege, alle lachten. Sie waren neidisch auf die Geistesgegenwart Jonathan Keplers, den Bankier angesprochen zu haben, andererseits war man sich der Bedeutung Turnsecks nicht ganz sicher.
    » Um was wetten wir?«, fragte Jürgen Bakow und rieb sich freudig die Hände.
    » Um eine Flasche Champagner!«, sagte Jonathan Kepler.
    » Die Wette gilt, ihr seid unsere Zeugen: eine Flasche Schampus!«
    6
    » Schreib das, mit der Wette«, sagte Jonathan Kepler zu Helen, über zwanzig Jahre später, in Kreuzberg, » die Flasche Champagner schuldet er mir noch immer!«
    Helen grinste. » Ruf ihn doch an«, sagte sie.
    » Es klingt vielleicht etwas verrückt«, erklärte er, » aber damals war man als Journalist nicht so cool. Ich war völlig aus dem Häuschen, dass der Typ mit mir geredet hat. Ich meine, der tag war wirklich die linkeste Zeitung, die es gab, die, die am kritischsten gegenüber den Banken stand. Und er kam so entspannt rüber, sympathisch, ich kann es nicht anders sagen.«
    » Erinnerst du dich an die spanischen Reiter auf der Bismarckstraße?«, fragte Carsten Willms unvermittelt, während er eine neue Flasche Rotwein öffnete. Ein melancholischer Mann, dachte Helen, die ihn dabei beobachtete, und elegant in seinem schwarzen Rollkragenpullover.
    » Spanische Reiter?«, fragte sie.
    » Berittene Polizei, bei der großen Weltbanktagung, 1988, in Berlin.«
    » Kommt Zeit, kommt Rat, kommt Attentat«, sagte Jonathan Kepler. » Erinnerst du dich nicht? Es stand auf den Transparenten vor der Oper. Die Demonstranten haben es skandiert.«
    Helen hatte es vergessen. Doch als die beiden Männer sich den Tag und seine Aufregungen vergegenwärtigten, als sie von den Flugblättern erzählten, die sie verteilt hatten, kam etwas wieder: die Atmosphäre des Telefonats. Die fremde Frauenstimme, in den Hörer und in den großen Raum der Suite hinein. Die Suite, die Helen kannte; Julius bekam immer dieselbe. Helles Licht, Spätsommer, eine Beklemmung in der Herzgegend.
    Helen rief im Hotel Kempinski an. Eine Frauenstimme meldete sich mit Julius’ Namen.
    » Hallo«, sagte Helen, » hier spricht Helen. Dürfte ich wohl bitte einen Augenblick mit –«, Helen zögerte, » Herrn Turnseck sprechen?«
    » Hallo, Helen, ja natürlich, warten Sie einen Augenblick, Julius kommt sofort an den Apparat.«
    Sie sprach mit einem süddeutschen Akzent.
    » Wirst du nachher gegen mich demonstrieren?«
    Julius’ erste Frage.
    » Wirst du Tomaten und Eier auf mich werfen?«
    » Julius, ich bitte dich.«
    » Sicher?«
    » Sicher! Ich gehe nicht zur Demo, du weißt doch, ich gehe nicht gern zu Demos, ich habe Platzangst bei solchen Massenaufläufen.«
    » Du denkst, es werden so viele? Kann ich nicht mit denen reden? Ich würde mich gern zur Diskussion stellen.«
    Helen musste lachen. » Du kannst es ja mal probieren. Deine Kollegen werden begeistert sein. Die Polizisten auch. Ich fürchte nur, man wird dir nicht zuhören.«
    Julius schwieg.
    » Es ist schrecklich, so gehasst zu werden.«
    » Ich hasse dich nicht.«
    » Ich weiß.«
    » Was seht ihr nachher in der Oper?«
    » Wagner.«
    » Kannst du jetzt nicht telefonieren?«
    » Wir müssen leider gleich los. Kann ich mich morgen früh melden? Ich fürchte, heute Abend wird es zu spät.«
    Helen verstand. Julius kümmerte sich sonst nicht um die Uhrzeit.
    » Bitte, ja.«
    Julius zögerte, Helen spürte es, als wollte er ihr etwas sagen.
    » Was ist denn?«, fragte sie. » Ich habe nur

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