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Der Tag ist hell, ich schreibe dir

Der Tag ist hell, ich schreibe dir

Titel: Der Tag ist hell, ich schreibe dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Langer
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diesem Lärm, als hätte ihn jemand gerufen. Eine seltsame Stimme. Er wendet den Kopf, lässt blitzschnell die Blicke schweifen, wie sonst seine Wächter, wenn sie die Lage peilen, er ist irritiert, er tut dies sonst nie, er tritt eine Sekunde heraus aus der Zeit, wie schon einmal, vor sehr langer Zeit, in einer anderen Stadt, als er einen Bus verließ, mit einer Gruppe von gleichaltrigen Jungen, das Bild fliegt vorüber, schon ist es vorbei, er sieht sich selbst durch eine zerstörte Stadt laufen, seine Heimatstadt, in Schutt und Asche, schon ist es vorbei, er sieht nichts und niemand, weshalb sollte ihn hier jemand rufen, kein Mensch kennt ihn hier, ausgeschlossen, und doch. Schluss mit dem Unsinn, er wird erwartet, der Präsident eilt auf ihn zu, kommt ihm die Stufen des Palastes hinab entgegen, Julius Turnseck beschleunigt den Schritt, streckt die Hand aus, wird empfangen vom Präsidenten eines in Not geratenen Landes.
    Auf dem Rückweg zum Flughafen, nach einem mehrstündigen Gespräch, lässt sich Julius Turnseck durch die riesige Stadt fahren, einen Weg, auf den ihn der Präsident geschickt hat. » Ein toter Schuldner ist gar kein Schuldner«, hat er gesagt. Geschätzte zwanzig bis dreißig Millionen Menschen, vielleicht die größte Stadt der Welt. Sie fahren an der Kathedrale vorbei und beim Palast der Schönen Künste. Julius Turnseck wird nicht die alten Tempel der Azteken sehen, nicht die Wassergärten von Xochimilco, und auch nicht das Blaue Haus im Stadtteil San Angeles, in dem Frida Kahlo gelebt hat. Er hat keine Zeit. Er hat keine Zeit, sich die Schätze der Stadt anzusehen, Helen wird sagen, wie konntest du. Sie liebt die Schönheit, die Nützlichkeit liebt er. Ist die Schönheit auch nützlich? Und stimmt es überhaupt, was er da von sich denkt?
    Reines Vergessen
    Reines Erinnern
    Der Tod ist ein Anfang
    Zerstörung und Aufbau
    Ich bin Frau Tod,
    La cavalera, mein Kleid hängt in Fetzen
    Und doch ist es schön
    4
    Wie schade, dass so wenig Raum ist zwischen der Zeit, in der man zu jung, und der, in der man zu alt ist.
    Charles de Montesquieu
    Helen betrachtete die sechs verschiedenen Käsestücke, die hübsch geometrisch ausgerichtet auf einem Holzbrett auf dem Tisch vor ihr lagen, Camembert, Greyerzer, Comté, Ziege, Ziege geräuchert und Schaf, neben drei Sorten Brot in Scheiben und Baguette und einem Fässchen Butter. Dann ließ sie den Blick zu den afrikanischen Masken an der Wand schweifen, Masken aus Nigeria, Kenia, Kongo, längliche, rundliche, schwarz-weiße, braune, Zeichen der Macht, Objekte für Rituale, Hinweise auf Zugehörigkeiten, Masken der Lega, Kikuyu, Luba. Carsten Willms hatte die Herkunft der Masken erläutert, Mitbringsel von dreißig Jahren Reisen, dreißig Jahren Kenntnisse sammeln. Jonathan Kepler hatte Helen zu seinem Freund mitgenommen, » du musst ihn unbedingt kennenlernen«, irgendwann im Winter 2009, sie waren in Kreuzberg am Cottbusser Tor in einem sanierten Altbau in den letzten Stock gestiegen, etwas schnaufend, zu einem ausgebauten Dachgeschoss, » unser Alterssitz«, hatte Carsten Willms lächelnd zur Begrüßung gesagt. » Die Treppe hält fit!«, hatte Jonathan Kepler geantwortet. Und nun sprachen sie bei Wein und Käse über die längst vergangene Zeit in den Achtzigern, als die beiden als junge Journalisten unterwegs waren. » Darf ich meinen Notizblock benutzen«, fragte Helen, » stört es Sie, wenn ich etwas notiere?«, und sie hörte zu, was die beiden erzählten, und für einen kurzen Augenblick schien es ihr, als könnte sie Julius mit im Raum fühlen, was sie vorsichtig zur Kenntnis nahm, damit der Augenblick nicht gleich wieder verflog.
    5 Eklat
    Die Tagung der Weltbank dauerte von Freitagabend bis Dienstag früh. Die Deutsche Aufbau gab ihr traditionelles Mittagessen mit Pressekonferenz am Montag. Es fand im Embassy Row statt, einem eleganten Luxushotel downtown Washington, nicht weit vom Smithsonian’s und dem Kapitol; ein Hotel mit einer riesigen Eingangshalle, die Jonathan Kepler in seinem indonesischen Maßanzug und der geliehenen Krawatte, grün mit violetten Streifen, mit einem gewissen inneren Trotz betrat. Obwohl er nicht bei der Regierungspressegruppe akquiriert war, konnte er an zahlreichen Veranstaltungen teilnehmen, wenn er mit Carsten Willms zusammen kam. Carsten Willms wirkte ausgeruht und vergnügt, er trug ein mittelgraues Jackett über einem weißen Leinenhemd, mit Krawatte.
    » Ich komme mir ein bisschen verkleidet vor«, sagte

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