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Der Tag ist hell, ich schreibe dir

Der Tag ist hell, ich schreibe dir

Titel: Der Tag ist hell, ich schreibe dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Langer
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fortzuräumen, das kommt später, das muss später kommen, zuerst müssen die neuen Wünsche entgegengenommen werden, das heiße Essen hinausgetragen werden, die frischen Getränke, mein Vater, der hin und her läuft, schreibt, notiert, Flaschen öffnet, einschenkt, hinausträgt, zu meiner Mutter eilt, Teller aufnimmt – und der plötzlich fortläuft, ich kann nicht mehr, ich kann nicht, und davonfährt, mit dem Auto, irgendwohin, weil ihm der Kopf zerspringt, von den Bestellungen, vom Nikotin, vom Scheitern, von der Schwäche, mein Vater, den ich liebe. Für den ich Teller säubere, mich schneller drehe, Flaschen öffne, Gläser einschenke, Teller hinaustrage, die Tasse aufs Tablett stelle, die Untertasse, das Klapperdeckchen, den Zucker, das Milchkännchen, während das Wasser sprudelt und zischt, mir auf die Haut spritzt, wenn ich es auf einen Teebeutel in ein Glas füllen muss, oder das schwarz aus der Maschine läuft, wenn ich den Hebel senke, für den Kaffee, der schwarz aus der Maschine läuft, ich laufe und renne und lächle.
    Es ist schön, Menschen zu lieben ohne alle Vernunft, wie man früher gesagt hätte. Wie so etwas kommt. Es ist schön, wenn man unlogische Dinge leben darf. Solche ohne Zukunft.
    Ich kann nicht. Es macht mich zu traurig. An Julius und seinen Tod zu denken.
    6
    » Hast du schon die Nachrichten gehört?«
    Helen wusste, dass etwas Schreckliches geschehen sein musste. Sie war noch müde, doch etwas in der Stimme ihrer Mutter hatte sie hochschießen lassen, nach dem Radioknopf greifen, das Radio stand direkt neben dem Bett, im weiß gestrichenen Regal, das Helen liebte, ein rohes Kellerregal.
    » Ich glaube, etwas ist mit Herrn Turnseck passiert … ich habe nur gehört, dass es einen Anschlag gegeben haben soll …«
    » Was?«
    » Ja.«
    l«Ich rufe dich wieder an, Mama.«
    Simon wurde langsam wach, verwirrt sah er Helen an, » was ist denn los? Ist jemand gestorben?«
    » Sei still«, sagte Helen, die Kurznachrichten fingen an, es war halb neun, oder vielleicht war es auch schon neun.
    Ich weiß es nicht mehr. Ich weiß nur, dass ich sofort Julius’ Nummer von zu Hause suchte, im Wagen gab es nur ein pieppieppiep, als ich ihn anwählte, ich hatte diese Nummer nur für den Notfall, sie stand in meinem Adressbuch, aber ich rief dort nie an, obwohl er sie mir gegeben hatte, er rief immer mich an, nur Pia wählte hin und wieder diese Nummer, vielleicht ein Kollege aus dem Vorstand oder Frau Osthaus, ich weiß es nicht, es war gar kein Thema, ich wartete immer, dass er mich anrief. Ich zitterte am ganzen Körper.
    Eine Frauenstimme meldete sich.
    » Hier spricht Helen«, schrie ich, » stimmt es? Stimmt es, was sie im Radio gesagt haben? Lebt er noch? Pia?«
    Die Frauenstimme klang schwer und schleppend.
    » Ich bin nicht Pia, ich bin die Haushälterin. Frau Turnseck«, sie schluckte mühsam ein Schluchzen herunter, » ist zur Unfallstelle gelaufen. Sie ist gerannt. Das ganze Haus hat gewackelt. Es war entsetzlich laut. Eine irrsinnige Explosion. Ich weiß nicht mehr, ich kann Ihnen nichts sagen, bitte rufen Sie später noch einmal an.«
    Ich saß vor dem Radio, als könnte es mir mehr sagen. Die Minuten dehnten sich unerträglich, immer wieder kam die Meldung, dass auf den Vorstandssprecher der Deutschen Aufbau, Julius Turnseck, auf dem Weg von seinem Haus in Richtung seines Büros nach Frankfurt, nicht weit entfernt von seinem Haus, ein Anschlag verübt worden sei. Die Polizei könne noch nichts Näheres zu seinem Befinden sagen.
    » Ich kann mich nicht erinnern«, sagte der alte Herr Z. zu mir, als ich ihn nach Elly Neys Adresse in München gefragt hatte, » der Eindruck der Zerstörung war übermächtig.«
    Ich weiß nicht, wann es sicher war, ich weiß nicht, ob ich mit Pia sprach oder mit Verena, einer jungen Frau, die zur Familie gehörte, ich weiß nicht, ob Pia es war, die sagte: » Komm bitte zur Beerdigung, du musst kommen«, oder ob es Verena war, oder ob sie es später wiederholte und hinzufügte » wir schicken dir ein Ticket. Du sollst unbedingt kommen«.
    Ich erinnere mich seltsamerweise daran, dass ich in diesen Stunden an einen Abend meiner Schulzeit dachte, 1977, als wir in einer Kneipe in Bad Wildbad über die Entführung von Hanns Martin Schleyer diskutierten, über den Film, den Rainer Werner Fassbinder über den Deutschen Herbst gedreht hatte. Ich saß am Tisch mit Thorsten, der immer fragte, was ich darüber dächte, den Bonzen das Mittagessen hinzustellen, und ich

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