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Der Tag ist hell, ich schreibe dir

Der Tag ist hell, ich schreibe dir

Titel: Der Tag ist hell, ich schreibe dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Langer
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beständig und geheimnisvoll, mal näher und mal ferner.
    Während er sich mit der ihm eigenen Geschwindigkeit auf die Spitzenposition seiner Bank zubewegte, erhielt Helen einen Platz als studentische Hilfskraft bei einem Philosophen, der just zum Professor geworden war, mit einer großen Arbeit über Nietzsche, und der als einer der Lieblinge des Institutsleiters, Professor Professor Weberknecht, galt: Professor Doktor Adalbert Raabe.
    Helen hatte Herrn Professor Raabe mit einem Referat über Nietzsche auf sich aufmerksam gemacht, in dem sie der Frage nachzugehen hatte, inwieweit Kunst eine Form der Erkenntnis sei und umgekehrt. Als sie am Aushang sah, dass Professor Raabe eine wissenschaftliche Hilfskraft suchte, bewarb sie sich hochoffiziell, und weniger offiziell, aber üblich, mit einem persönlichen Knicks bei ihm. Professor Raabe hatte eine deutliche Neigung für alles Literarische; und sie hatte ihm mit Querverweisen und Zitaten ihren Sinn dafür gezeigt. Gern las er in seinem Seminar etwas vor; dazu erhob er sich, fuhr sich leicht verwirrt mit der Hand durchs staubblonde Haar und begann mit angenehmer Stimme zu deklamieren. Fast zu Tränen rührte er Helen, als er ein Gedicht von Lou Andreas-Salomé vortrug, das diese für Nietzsche geschrieben hatte und das mit der Zeile endete: » Hast du kein Glück mehr mir zu schenken, wohlan – noch hast du deine Pein.« Auch als Professor Raabe einmal von der pädagogischen Liebe sprach, vom eros Platons und der philía, der geistigen Freundschaft, fühlte Helen sich sofort persönlich angesprochen und dachte auch an ihren Freund, den liebenswürdigen Bankier.
    Gleich zu Beginn des zweiten Semesters begann Helen mit ihrer Arbeit für Professor Raabe. Er hatte soeben ein Buch über die moralischen Implikationen der Genforschung verfasst, und Helen sollte das Manuskript sorgfältig durchlesen, die Zitate und ihren Nachweis in den Fußnoten prüfen und mit Bleistift auf sprachliche Mängel hinweisen. Kaum fertig damit, endete auch schon ihre Tätigkeit für Herrn Professor Raabe. Der steckte eines Tages seinen Kopf in das schmale Zimmer an der Universität, in dem sie über seine Seiten gebeugt saß, und fragte: » Nun, Fräulein Niemetz, wie finden Sie denn eigentlich mein Buch?«
    Helen, gestört in ihrer Konzentration, seufzte, als sie aufsah, und sagte ohne nachzudenken: » Ich finde es überaus interessant, aber könnten Sie denn nicht den lieben Gott draußen lassen? Das scheint mir doch ein wenig – unzeitgemäß!«
    » Oh«, sagte Herr Professor Raabe und verließ das Zimmer.
    Zwei Wochen später wurde Helen zum Leiter des Instituts gebeten, Professor Professor Friedemann Weberknecht. Professor Weberknecht war ein unauffälliger, zierlicher Herr, dessen Alter Helen nicht einmal annähernd zu schätzen gewusst hätte; er gehörte zu den Menschen, die mit vierzig wie mit achtzig wirken und umgekehrt, sich selbst immer treu, ihre Gedanken bezähmend und von jungen Jahren an ihre Leidenschaften in papierne Falten legend. Helen, gerade einmal einundzwanzig und mit Hierarchien wenig vertraut, sah Herrn Professor Weberknecht erwartungsvoll an.
    » Liebe junge Dame«, begann er, » Sie scheinen mir von Metaphysik nicht allzu viel zu halten?«
    Helen verstand nicht. Sie runzelte die Stirn. Was sollte die Frage?
    » Herr Professor Raabe berichtete mir von Ihrer Einschätzung seiner Arbeit, und es scheint uns, dass Sie sich vielleicht jenen gesellschaftlichen Fragen näher fühlen, mit denen sich unser Herr Doktor Sedlitzky beschäftigt. Sie kennen ihn doch, oder? Sie besuchen doch sein Seminar?«
    Helen nickte, sie spürte, dass Professor Weberknecht keine Antwort erwartete.
    » Die Natur des Menschen«, fuhr er fort und schob dabei mit einer vogelähnlichen Bewegung den Hals leicht nach vorn und nach oben zugleich, » liegt Ihnen vielleicht mehr als die Frage nach dem Absoluten, obwohl diese zusammenzudenken sich für eine angehende Philosophin doch fraglos gehören sollte.« ( » Frauen können qua Geschlecht keine Metaphysikerinnen sein«, hörte Helen ihn später einmal sagen, und auf die Frage eines Studenten, was mit Hannah Arendt sei, zuckte er die Achseln: » Ich kann mich da nur wiederholen.«)
    Helen fühlte Hitze auf ihrem Gesicht und an ihrem Hals ein Puckern.
    » Selbstverständlich«, murmelte sie, überfordert von der Gemeinheit seiner Sätze.
    » Fraglos«, so fuhr Professor Professor Weberknecht fort, der für dieses Wort offenbar eine Schwäche hatte,

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