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Der Tag ist hell, ich schreibe dir

Der Tag ist hell, ich schreibe dir

Titel: Der Tag ist hell, ich schreibe dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Langer
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» fraglos wäre es schön, liebes Fräulein Niemetz, wenn Sie im kommenden Semester meine Vorlesung über Grundfragen der Ethik besuchen könnten.«
    Helen sah an sich herunter. Sie betrachtete ihre gestreifte Sommerhose und die staubigen Sandalen an ihren nackten Füßen, als könnte sie dort eine Antwort finden, ob tatsächlich ihre Frage nach dem lieben Gott sie aus ihrer ersten wissenschaftlichen Stelle herauskatapultiert haben könnte.
    » Das ist alles«, hörte sie Herrn Professor Professor Weberknechts immer gleiche, trockene Stimme, » oder möchten Sie mir noch etwas sagen?«
    » Nein«, sagte Helen artig, » ich habe verstanden. Ich komme selbstverständl –«
    » Fein«, schnitt ihr der Professor mit einem Blick auf seine Armbanduhr das Wort ab, » dann gehen Sie jetzt bitte zu Fräulein Leontine, sie wird Sie mit Herrn Dr. Sedlitzky in Verbindung bringen. Er wird Ihnen dann Ihre neuen Aufgaben mitteilen.«
    Fräulein Leontine Wilhelm war die Sekretärin des Instituts und eine Art Cerberus und Kummerkasten in einer Person. Sie war winzig und hatte ihr mit Silberfäden durchzogenes dickes braunes Haar mit hundert Nadeln aufgetürmt. Nachdem Helen mit hochrotem Kopf bei ihr vorgesprochen und sich die Telefonnummer von Herrn Dr. Sedlitzky hatte aufschreiben lassen, musste sie zuerst einmal aus dem Gebäude flüchten und in einem gehetzten Spurt dreimal um den Block galoppieren, um die soeben erlebte Demütigung aus sich herauszuschütteln. Sie konnte diese Konsequenz gar nicht fassen, sie hatte sich doch gerade erst an Professor Raabe gewöhnt, und sie hörte schon, wie ihre Mutter sie rügen würde, dass sie ihren vorlauten Schnabel wieder einmal nicht hatte halten können. Schließlich fiel ihr Julius Turnseck ein, der doch ein erfahrener Mann war, und sie überlegte, wie sie ihm den Vorfall darstellen sollte, damit er sie tröstete und ihr riet. Sie rannte nach Hause und setzte einen Brief auf. Dreimal nahm sie Anlauf, dreimal zerriss sie das Papier und schließlich kritzelte sie auf eine ihrer Kunstpostkarten mit zittriger Handschrift: Bitte anrufen!, Helen, steckte sie in einen Umschlag und krakelte das inzwischen vertraute persönlich! darauf.
    Zwei Tage später fuhr die schwarze Limousine vor dem gelb gestrichenen Bürgerhaus der Gründerzeit in Neuhausen vor, in das Helen erst wenige Wochen zuvor mit Anders und Katrin eingezogen war. Etwas kopfschüttelnd hatte Julius Turnseck genau wie Helens Eltern diesen Umzug kommentiert, aber Helen hatte erklärt, dass Studenten alle naselang die Wohnung wechselten. Anders studierte Ingenieurswissenschaften an der Technischen Universität, und Helen, die ihn im Café im Stadtmuseum kennengelernt hatte, hatte sich Hals über Kopf in ihn verliebt. Er war ein hochgeschossener, extrovertierter junger Mann, der wie Helen ein Jahr in Frankreich verbracht hatte, Gauloises rauchte und ein großer Kinogänger war. Als Katrin, eine Rothaarige mit tiefer Stimme, deren Lachen es Helen angetan hatte und die mit ihr nach dem Grundkurs Außenpolitik gern einen Kakao trinken ging, erklärte, dass sie eine neue Bleibe suche, hatten die drei beschlossen, sich zusammenzutun. » Eine Ménage à trois?«, hatte Julius Turnseck gemurmelt, » Na, ich weiß nicht.« Die Wohnung hatte alte Dielen und Jugendstiltüren und eine geräumige Wohnküche; Helens Zimmer war zwar klein, hatte aber einen winzigen Balkon, der auf eine große Kastanie hinausging.
    Herr Lippens, der Chauffeur, stieg aus, begrüßte sie mit einem » Fräulein Helen, wie geht’s?«, öffnete die hintere Tür und ließ sie in den Fond einsteigen. Julius Turnseck beendete gerade ein Telefonat. Er legte den schweren, schwarz glänzenden Hörer auf die Apparatur des Funksprechers und küsste Helen, die sich zu ihm setzte, auf beide Wangen.
    » Nun erzählen Sie mal alles in Ruhe!«, sagte er und lächelte sie freudig an. » Ich habe genau zweieinhalb Stunden Zeit. Ich dachte, wir machen einen kleinen Spaziergang, was halten Sie davon?«
    Helen hatte sich noch gar nicht von dem Schrecken erholt, dass Julius Turnseck ihretwegen nach München geflogen kam. Dass er einen Haufen Geld ausgab, nur um sie für ein paar Stunden zu sehen. Er hatte keine Termine in der Stadt, und er musste am Nachmittag wieder zurückfliegen.
    » Der nächste Park«, sagte sie, » ist der am Schloss Nymphenburg.«
    » Fein«, sagte Julius Turnseck, » dann fahren wir dorthin.«
    Helen erklärte Herrn Lippens den Weg, und die schwarze Limousine

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