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Der Tag ist hell, ich schreibe dir

Der Tag ist hell, ich schreibe dir

Titel: Der Tag ist hell, ich schreibe dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Langer
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rollte geräuschlos durch die Straßen. Helen, die sich plötzlich in eine andere Realität versetzt fühlte, erzählte mit wild klopfendem Herzen von ihrer Abservierung durch Herrn Professor Professor Weberknecht und deren idiotischem Anlass, den sie noch immer nicht fassen konnte, genauso wenig wie die Tatsache, so überraschend neben Julius Turnseck auf der Rückbank seines Wagens zu sitzen. Julius Turnseck nickte zunächst verständnisvoll und stellte ein paar knappe Fragen, doch bald konnte er sich vor Lachen kaum mehr halten, denn durch sein wohlwollendes Zuhören steigerte sich Helen immer mehr in ihre Schilderung hinein und imitierte Professor Professor Weberknechts vogelgleiches Kopfvorschieben. » Die reine Männergesellschaft, diese Philosophen!«, fluchte sie, und nun fing auch Herr Lippens an zu lachen, der sie im Rückspiegel hin und wieder freundlich aufmunternd angesehen hatte.
    Julius Turnseck riet Helen, die Sache nicht zu schwer zu nehmen, auch wenn er die Reaktion der Herren autoritär und etwas unbeholfen fand.
    » Und wenn der andere mich auch rausschmeißt?«, fragte sie geknickt.
    » Dann findet sich etwas Neues. Fangen Sie bloß nicht an, Ihre Worte zu überlegen oder gar Ihr Fähnchen in den Wind zu hängen. Sagen Sie ruhig immer genau das, was Sie denken.«
    » Ich soll also nicht taktisch sein und schweigen? Oder zumindest einiges für mich behalten?«
    » Ach, Quatsch. Sie sind noch viel zu jung dafür! Natürlich müssen Sie irgendwann lernen, dass Sie nicht immer sofort alles sagen, was Ihnen durch den Kopf fällt.«
    Als Helen sich ein wenig beruhigt hatte, korrigierte er seine Worte und bat Helen, in diesem speziellen Fall den Herren Philosophen nichts davon zu sagen, dass sie ihn kenne und ihm so vieles erzähle, und Helen, untergründig leicht irritiert von diesem Widerspruch, schnaufte ganz empört, wie er denn darauf komme, sie verspüre nicht die geringste Lust, dies zu tun. Sie beschwerte sich sogar: Wie könne er so etwas von ihr denken! Ihre persönliche Freundschaft schütze sie doch wie ein Kleinod, das man wie ein Bild im Medaillon am Herzen trug (sie las gerade Goethes Wahlverwandtschaften ), oder in einem verschlossenen Kästlein aufbewahrte. Nur ihre Mitbewohner, Anders und Katrin, die ja auch mitbekämen, wenn er anrufe, wüssten von ihm; nicht einmal ihrer Busenfreundin Antje-Doreen habe sie bisher von ihm erzählt.
    Es war Mai, die Bäume standen in üppiger Pracht und verströmten ihren lieblichen Duft; die weiten, gepflegten Rasenflächen beruhigten grün das Auge; das Wasser in den gerade angelegten Kanälen spiegelte den alpenblauen Himmel mit seinen winzigen Schafswölkchen, und der Kies knirschte anmutig unter ihren Schritten. Links und rechts blickten Damen und Herren aus Sandstein freundlich auf das ungleiche Paar. Helen trug ein himmelblaues Kleid mit Rüschen am geschwungenen Rock, dazu Riemchensandalen mit kleinem Absatz, und Julius Turnseck sah tadellos aus in seinem wie immer auf Taille geschnittenen mittelgrauen Anzug und dem gestärkten weißen Hemd. Wie gut er aussehe, hatte Helen entzückt festgestellt, und auch er hatte ihr reizende Komplimente gemacht. Sie waren in der Tat ein ungleiches Paar, das sich da durch den Park bewegte, und doch strahlten sie eine gemeinsame Munterkeit aus; etwas geradezu Übermütiges lag in ihrem Lauf. Ihr blonder Schopf wippte etwas unterhalb von seinem dunklen, sie musste manchmal hüpfen, um mit seinem Schritt mitzuhalten, den er dann verlangsamte.
    Nachdem sie die aktuelle Angelegenheit erörtert und beiseitegelegt hatten, plauderten sie eine Weile über die Notwendigkeit, das Metaphysische als Voraussetzung vieler philosophischer Gegenstände zu thematisieren, was jedoch nicht dasselbe sei wie eine bestimmte Religion, wie Helen es ihrem Professor vorgeworfen hatte. Julius Turnseck teilte ihre Auffassung; man müsse schließlich auch Staat und Religion trennen, und außerdem liebte er es nun einmal, alles möglichst vorbehaltlos anzusehen und die Gründe für ein jedes Denken aufzudecken, statt sich von vorgegebenen Voraussetzungen einengen zu lassen. Er empfahl ihr, die Dinge mit einem größeren Abstand zu betrachten und dadurch etwas über verschiedene geistige Haltungen zu lernen, was Helen, die alles immer sofort beim Wort nahm, wie sie zugab, überhaupt nicht leicht fiel.
    » Distanz ist wichtig, Helen, immer«, betonte er, und wie ein Lehrer, der seine Schülerin auffordert, eine Gedankenübung auszuführen,

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