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Der Tag ist hell, ich schreibe dir

Der Tag ist hell, ich schreibe dir

Titel: Der Tag ist hell, ich schreibe dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Langer
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und Fragen stellten, oder anderen Menschen, sondern ich erzählte sie dir und mir, weil sie wieder da war und weil ich dich in ihr wiederfand – gegen die zerbombte Limousine, gegen die Fotos des Bankiers, der die Arme verschränkt vor dem riesigen Safe, gegen die Schlagzeilen, in die ich mit dir geraten war. Die Erinnerungen fügten sich so, wie ich dir gern Dinge am Telefon erzählt hatte, wenn ich wollte, dass du dich amüsierst; denn kaum etwas war so beglückend für mich wie dein Lachen, dieses jungenhafte, unbeschwerte Lachen, in das ich mich jedes Mal hineinfallen ließ wie ein Kind, das Trampolin springt und herunterfällt und hochspringt und die Augen schließt und sie wieder öffnet und die Welt vergisst.
    2
    Aus dem Mehl der marxistischen Backstube wurde das weiße Puder der höfischen Gesellschaft, auf die Helen am Münchner Institut für Philosophie traf. Das oder auch der Puder, der am Hofe des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts, als die Menschen sich noch nicht so häufig wuschen, unerwünschte Körperdüfte überdeckte und Unebenheiten der Haut verbarg und der den Gesichtern die Künstlichkeit verlieh, die zu den Rollen gehörte, die sie spielten, ständig in der Spannung, who’s in and who’s out, wie es bei Shakespeare hieß: Wer gehört zu den engsten Kreisen der Macht? Wer entfernt sich und verliert, an Einfluss, Achtung, Ruhm?
    Ahnungslos begab sich Helen auf ein Feld, in dem sich das Interesse an geistigen Dingen mit dem Willen zu Positionen auf überraschende Weise verband, und bald musste sie feststellen, wie sehr Zweiteres das Erste durchsetzte. » Kein Denken ohne Not«, hatte Madame du Deffand geschrieben, eine Aristokratin des achtzehnten Jahrhunderts, die eine ebenso kluge Beobachterin des Hofes von Louis XV . war, wie Saint-Simon es zuvor für die Zeit von Louis XIV . gewesen war, und die Helen sehr zu schätzen lernte, wie überhaupt die Denkerinnen und Denker der französischen Aufklärung und Moralistik.
    Julius Turnseck hatte » wunderbar, Helen!« ausgerufen, als Helen ihm nach ihrer Rückkehr aus Paris mitteilte, sie habe beschlossen, Philosophie und Politikwissenschaften zu studieren. » Sie müssen mir alles erzählen! Sie wissen doch, wie gern ich selbst Philosophie studiert hätte! Sie müssen mir alle Bücher nennen, die Sie lesen, und Ihre Hausarbeiten müssen Sie mir auch schicken! So kann ich wenigstens mit Ihnen zusammen ein bisschen Philosophie betreiben!«
    Sie hatten nebeneinander im zwanzigsten Stock der hohen Türme seiner Bank in Frankfurt am Main am Fenster gestanden, in die er im vergangenen Jahr gezogen war; unter ihnen glitzerte die weitläufige Stadt in der Sonne, deren Strahlen in den Wellen des Mains aufblitzten, der sich grau glänzend schob und schlängelte, unmittelbar unter ihnen befand sich das auffallende, helle Gebäude der Oper, und in der Ferne sah man die Erhebungen des Taunus.
    » Wahnsinn«, hatte Helen die Aussicht kommentiert, und » Möchten Sie vielleicht einen Kaffee?«, hatte Julius Turnseck geantwortet.
    Frankfurt am Main war eine bedeutende Bankenstadt gewesen, am Ende des sechzehnten Jahrhunderts, Martin Luther hatte sie ein » Geld- und Silberloch« genannt; zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts festigten allen voran die Rothschilds, die aus dem jüdischen Getto in ein elegantes Viertel zogen, die Position der Stadt als Finanzzentrum des europäischen Kontinents. Vorübergehend, Mitte des neunzehnten Jahrhunderts, machten die Frankfurter den Fehler, gegen Preußen auf Österreich zu setzen, und als 1866 der Krieg ausbrach und Österreich besiegt wurde, mussten sie ihre Rolle an Berlin abtreten, die Hauptstadt des Deutschen Reichs. Daran änderte sich eine ganze Weile nicht viel; erst nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs begann das Spiel von Neuem. Die Stadt, fast zerstört, erlebte einen ungeahnten Aufschwung; Glaskästen und Betonklötze schossen in die Höhe, und Frankfurt am Main, das den größten Flughafen Europas besaß, wurde, als die Welt noch geteilt war in Ost und West, die deutsche Stadt des Kapitals, und die Deutsche Aufbau, im Herzen dieser Stadt, die Bank mit dem größten Volumen des Landes.
    Helen hatte Julius Turnseck eine Postkarte mit der berühmten Diane de Poitiers geschickt, als Jagdgöttin Diana, mit Pfeil und Bogen, über die Schulter lächelnd, verschmitzt, das Werk der Schule von Fontainebleau, das im Louvre hing. Bin wieder da, hatte sie geschrieben und ihre Telefonnummer dazugesetzt, falls der

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