Der Tag ist hell, ich schreibe dir
ließ Julius Turnseck sich von allen beteiligten Lehrkräften und ihren philosophischen Standpunkten berichten. Helen antwortete eifrig, allerdings konnte Julius Turnseck nicht umhin, bei ihren Schilderungen von Körperhaltung, Mimik und Sprechweise, die ihr immer wieder hinausrutschten, erneut zu lachen, bis Helen misstrauisch innehielt, sich von seiner Hand freimachte, die seit einer Weile die ihre hielt, und stehen blieb.
» Jetzt sagen Sie mir mal, warum Sie das alles so genau wissen wollen! Sie führen doch etwas im Schilde!«
Julius Turnseck, der rasch auf seine Armbanduhr blickte, sah seine ungestüme Begleiterin amüsiert an. » Ich möchte mir nur ein Bild machen«, sagte er.
» So so«, sagte Helen, » ganz ohne Ziel, ja? Na, wer das glaubt, der kennt Sie schlecht!«
» Wir haben leider nicht mehr so viel Zeit«, versuchte Julius Turnseck auszuweichen, » und ich wollte Ihnen vorn an der Orangerie gern noch ein Eis spendieren.«
» Ich mag gar kein Eis«, sagte Helen und verharrte auf der Stelle. Ihre grünen Augen blitzten angriffslustig. Ihr Begleiter gab sich einen Ruck. » Ich möchte mir ein Bild machen«, sagte er, » ob einer der jüngeren Herren an einer privaten Universität, die ich gerade zu gründen beginne, eine Professur verdient hätte. Ich möchte aber nicht, dass die Herren auch nur die leiseste Ahnung davon haben, solange nicht einiges geklärt ist.«
Helen blieb die Spucke weg.
» Nee«, sagte sie, » das ist jetzt nicht Ihr Ernst, oder?«
» Doch, liebe Helen, warum denn nicht?«
» Abgesehen von dieser heimlichen Befragung: Eine private Uni? Wozu soll die denn gut sein? Fördern Sie doch lieber die öffentlichen!«
Sie war aufrichtig entsetzt. Sie war ein Küchenkind, der Antagonismus der marxistischen Backstubenlehre flackerte grell in ihr auf, und sie verdankte dem bildungsreformerischen Elan der jungen Referendare und Lehrerinnen, die, von den studentenbewegten Unruhen geprägt, an die Schule gekommen waren, dass sie ein Gymnasium besucht hatte. Ihre Klassenlehrerin in der Grundschule, Fräulein Renner, die streichholzkurzes Haar hatte und rauchte wie ein Schlot, hatte eigens ihren Eltern einen Besuch abgestattet, um ihnen klarzumachen, dass sie ihr Kind unbedingt auf ein Gymnasium schicken sollten, auch wenn sie nicht bei den Lateinhausaufgaben würden helfen können. Helen hielt überhaupt nichts von privaten Bestrebungen im Bildungssystem. Im Gegenteil, die Galle kam ihr hoch, und vor ihren Augen standen die mit Goldknöpfen versehenen dunkelblauen Sportjacketts der Golfer.
» Wir brauchen eine leistungsfähige Elite in unserem Land«, sagte Julius Turnseck, und Helen sah ihn ungläubig an.
» Ja und?«, fragte sie. » Sind unsere Universitäten nicht gut genug? Dann investieren Sie doch in die!«
» Helen, es ist so ein schöner Spaziergang«, bat Julius Turnseck, » wir wollen uns doch am Ende nicht etwa zanken?«
» Ich fürchte aber doch«, sagte Helen.
Die Zeit wurde knapp, die zweieinhalb Stunden waren wie im Fluge vergangen. Helen und Julius Turnseck traten den Rückweg durch den Park an. Julius Turnseck resümierte in raschen Worten, dass er vorhabe, im Ruhrgebiet, seiner geliebten Heimat, die sich durch die Schließung zahlreicher Zechen sehr bald umstrukturieren müsse, den Grundstein für eine Universität zu legen, in der zunächst die Fächer Medizin und Wirtschaftswissenschaften im Mittelpunkt stünden. Die Universität solle modellhaft für andere ein Studium Generale von allen Studierenden einfordern, weshalb es einen Lehrstuhl für Philosophie geben solle. Außerdem wolle man mit einem anthroposophischen Krankenhaus in der Nähe zusammenarbeiten, in dem die Studierenden praktische Erfahrungen mit einer ganzheitlichen Medizin sammeln sollten.
» Das müsste doch ganz in Ihrem Sinne sein, Helen«, sagte Julius Turnseck.
» Das ließe sich doch auch an einer öffentlichen Universität einrichten«, sagte Helen, die bei jedem Schritt die Sandalen missmutiger in den Kies bohrte.
Die öffentlichen Universitäten seien zu groß für solche Experimente, erklärte Julius Turnseck, und außerdem gehe es ihm auch darum, die Region kulturell zu bereichern. Er zählte Helen noch weitere Gründe auf, und schließlich wurde ihr klar, dass das Projekt das Stadium des Andenkens längst verlassen hatte. Helen schmollte. Sie begriff, dass er die Dinge vor allem selbst gestalten wollte und diese Möglichkeit an einer öffentlichen Universität nicht haben würde.
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