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Der Tag ist hell, ich schreibe dir

Der Tag ist hell, ich schreibe dir

Titel: Der Tag ist hell, ich schreibe dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Langer
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Tochter aus erster Ehe erwähnt, Susanne, wenn auch nur in knappen Worten. Helen dachte nie daran, außer einmal, als sie in München im Frühstückssaal des Hotels Bayerischer Hof saßen.
    Es war Winter, vermutlich hatte Julius Turnseck Termine mit einem großen Autohersteller gehabt oder der Landesregierung oder irgendeinem anderen millionenschweren Handelspartner. Da er am selben Abend zurück nach Frankfurt fliegen musste und den ganzen Tag eingespannt war, hatte er Helen gebeten, ob sie nicht im Hotel mit ihm frühstücken könnte, ganz früh, um sich überhaupt sehen zu können. Helen war mit dem Fahrrad durch den eiskalten, klaren Morgen geradelt, der Atem stand vor ihrem Mund, und ihre Wangen fühlten sich wie gefroren an. Als sie am Platz vor dem Hotel ankam, sah sie Diener in roten Livreen mit hohen Zylindern und weißen Handschuhen vor dem Eingang stehen; es gab einen Augenblick der Verwirrung, als Helen sich mit ihrem alten Holländerrad näherte; sie machte also lieber kehrt und schloss das Rad in einer Seitenstraße an.
    Als sie das Foyer betrat, wartete Julius Turnseck schon, er machte ein paar Schritte auf sie zu und hielt sie, nachdem er sie umarmt hatte, mit beiden Armen ein Stück von sich fort, um sie zu betrachten.
    » Gut sehen Sie aus, ganz frisch!«
    » Ganz eisig«, gab sie lachend zurück. Er half ihr aus der Jacke und brachte sie mitsamt Schal, Mütze und Handschuhen zur Garderobe.
    Helen knurrte der Magen vor Hunger, doch als sie neben Julius Turnseck am üppigen Büfett stand, auf dem es wirklich alles gab, vom Müsli bis zum Lachs, vom schweizerischen, französischen und holländischen Käse bis zum englischen Cheddar, nahm sie sich wie er nur ein Brötchen, etwas Butter und ein gekochtes Ei. Sie waren beide nicht sonderlich am Essen interessiert; was hätte ihre Mutter für eine Freude an den Silberkännchen für den duftenden Kaffee und an den gestärkten weißen Servietten gehabt!
    Helen und Julius warfen sich in ihrem gewohnten Gesprächsstil die Bälle ohne Pause hin und her. Helen hoffte inständig, dass er nicht noch einmal auf die Hausarbeit zu sprechen käme. Sie erzählte, als wollte sie in die kurze Zeit, die sie hatten, alles hineinquetschen, fast atemlos von ihren Studien und von ihren Besuchen im Theater und in den Museen der Stadt, die er wohl etwas ausschweifend fand.
    » Finden Sie nicht, dass Sie ein wenig zu oft ins Theater gehen?«
    » Aber das gehört doch auch zu meiner Bildung! Und hier gibt es erstklassige Schauspieler und nur Stücke der Weltliteratur!«
    » Wissen Sie, liebe Helen, wenn Sie ein bisschen mehr über Hobbes’ Leviathan nachgedacht hätten statt sich Shakespeare anzusehen, hätten Sie Ihre Arbeit sehr viel klarer aufbauen und durchführen können.«
    » Aber ich habe doch immerhin eine Zwei bekommen«, maulte Helen.
    » Sie enthält ja durchaus einige kluge Gedanken«, sagte er mit einer steilen Falte auf der Stirn. » Aber Ihre Auseinandersetzung ist wie gesagt nicht stringent genug; Sie müssen sich um eine bessere Strukturierung Ihrer Gedanken bemühen!«
    Helen wurde rot wie eine eingelegte Paprika und konnte es gerade noch verhindern, in Tränen auszubrechen. Ihre Füße in den dick gefütterten Winterstiefeln fingen von der Wärme an zu kribbeln.
    » Shakespeare ist ja gut und wichtig, aber Sie müssen doch das Studium an die erste Stelle setzen! Ich habe ohnehin den Eindruck, dass Sie ein wenig unsortiert vorgehen.«
    » Aber ich bin doch noch in der Orientierungsphase«, sagte sie und pickte in den zerstörten Schalen ihres Frühstückseis herum. » Ich fange doch gerade erst an mit dem Studieren! Sie schimpfen mit mir, als wäre ich Ihre Tochter, und eine ganz liederliche noch dazu!«
    Julius Turnseck wurde bleich, alle Farbe wich aus seinem Gesicht. Helen sah ihn verwirrt an.
    » Sie haben recht«, sagte er, mit einem Mal unendlich traurig. » Es tut mir leid. Es tut mir wirklich leid. Aber Susanne ist in Ihrem Alter, und ich weiß so wenig von ihr. Wir haben selten Kontakt miteinander.«
    Helen war verblüfft. Immer wieder überraschte er sie. Das Kribbeln an ihren Füßen ging in ein unangenehmes Brennen über. Der Kellner kam herbei, fragte, ob sie etwas wünschten; sie schüttelten beide den Kopf, und er verschwand. Helen sah Julius Turnseck fragend an.
    » Sie hat mir die Scheidung nie verziehen, sie gibt mir die Schuld und sie will« – er schluckte – » sie will nichts mit ihrer kleinen Halbschwester zu tun haben.«
    » Ach

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