Der Tag ist hell, ich schreibe dir
sie nach dem Schwimmen, Kanufahren oder Rudern ausruhen, sich tummeln, lesen. Etwas weiter nach links liegt der Golfplatz mit seinem dichten Rasen; er ist wegen des Kriegs geschlossen, doch die Jungen lernen dort neben dem Reiten, Skifahren und Tennisspielen auch diesen Sport, in kurzen Turnhosen und ärmellosen Unterhemden schwingen sie die Schläger.
Die » Leibesübungen« nehmen überhaupt viel mehr Zeit ein als zu Hause in der Schule, die Jungen laufen viel an der frischen Luft, in roten Hemden und blauen Hosen, sie turnen an Reck und Balken, machen Kniebeugen und Liegestütze, sie sollen sich verausgaben und sie tun es gern, und später wird Julius den Sport als wichtigen Teil des Lebens beibehalten, das Segeln, Reiten, Skifahren, Laufen,
du wirst später mit deinen Leibwächtern zusammen Rad fahren, sooft du kannst, auf einem Rennrad, und einmal haben wir uns sogar heftig gestritten, weil die Deutsche Aufbau mit einem bekannten deutschen Tennisspieler Werbung machte, auf riesigen Plakaten, und ich dich fragte: Weshalb nicht mit einem Cellisten? Ist das die einzige Leistung? Schneller, höher, weiter?
pfundig, kerlig, prima,
Wörter, die Julius in seinen Briefen an die Eltern benutzt, in seiner ausholenden, deutlichen Schrift, wenn er über seine neuen Freunde berichtet, den Stundenplan, neben den üblichen Fächern wie Geschichte, Deutsch, Latein, Mathematik, Chemie auch Zeichnen, Handwerken und Musizieren, Chor und Orchester.
Das Musizieren wird fast so wichtig genommen wie der Sport. Unser Erzieher heißt Herr Friedrich, er wohnt mit seiner Frau und ihren beiden Töchtern in unserer Baracke, wir sind ihm zugeteilt. Seine Frau soll uns Tischmanieren und guten Benimm beibringen. Es gibt hier sogar eine Beurteilung für Körperpflege. Unsere Füße müssen immer blitzblank geschrubbt sein. Unsere Hände sowieso.
Herr Friedrich hat ihnen die Kleidung zugewiesen und gezeigt, wie sie sie in ihren Spinden im Zimmer anzuordnen haben. Gerade aufeinandergelegt, Kante auf Kante, kurze Hose auf langer, kurzärmeliges Hemd auf langärmeligem; die Socken eingerollt, die Unterhosen gefaltet. Die neuen Kinder murmeln alles mit, um es sich einzuprägen, und sie schwitzen am zweiten Tag, als Herr Friedrich zur Kontrolle kommt, hier eine Hand anlegt, dort etwas zurechtrückt, hier etwas rügt, am Ende » na, wird schon« sagt und den Zimmerältesten anweist, die Kontrolle zu übernehmen und ihm täglich Bericht zu erstatten. Die Jungen müssen ihre Hände zeigen, die Fingernägel müssen makellos gepflegt sein, und auch die Füße müssen sie jeden Abend waschen und die Nägel bürsten. » Soll der innere Mensch in Ordnung kommen, muss der äußere Ordnung halten!«, sagt Herr Friedrich. Betten machen, das Zimmer fegen und einmal in der Woche wischen; nur gewaschen und gebügelt wird von einer Frau aus dem Ort.
Der Krieg ist hier viel weiter weg als im Ruhrpott. Die Kölner Innenstadt ist im Mai in Schutt und Asche gelegt worden. Essen ist garantiert als nächstes dran, hatte Julius’ Mutter gesagt. Nicht mal dran denken, hatte der Vater sie gewarnt, mit Blick auf Julius, der in der Zimmertür stand.
Dabei hatte es auch schon einen Terrorflug, wie es offiziell hieß, auf München gegeben, Ende August, die Engländer hatten den Angriff geflogen, der Stadtteil Sendling war von Aschegrau überzogen gewesen, doch von den Zerstörungen durfte im Radio und in den Wochenschauen so wenig gezeigt wie in den seltener werdenden Zeitungen angedeutet werden. Die Gaupropagandaleitung wünschte keine » Zersetzung der Moral«. Julius’ Eltern hatten die Hoffnung, ihr Sohn sei im bayerischen Feldafing sicherer als in Essen. Dorothea, Julius’ kleine Schwester, sollte noch eine Weile zu Hause bleiben und dann mit der Kinderlandverschickung in die Lüneburger Heide fahren.
(Deine Verwandten in Essen zeigten mir, als ich sie besuchte, die Briefe ihrer Tante Dorothea aus dem Landschulheim, und die der Großmutter, die im Haus geblieben war.)
Julius macht die Schule keine besondere Mühe. Der Stundenplan ist abwechslungsreich, er lernt leicht. Er rennt mit seinen neuen Freunden zwischen den Baracken und dem See hin und her, lachend rudert er mit ihnen zur Roseninsel, während die Sonne auf seiner Haut brennt, glücklich ist er, wenn er mit den anderen zusammen Erkundungen zwischen See und Dorf unternimmt, aber selbst dann, wenn sie draußen vor dem Werkraum sitzen und schnitzen. Manchmal bleibt er einfach irgendwo stehen, um über den
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