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Der Tag ist hell, ich schreibe dir

Der Tag ist hell, ich schreibe dir

Titel: Der Tag ist hell, ich schreibe dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Langer
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letztes Jahr ooch, ich meine auch schon in Tutzing drüben und haben für sie gezwitschert. Danach gabs Kaffee und Kuchen, aber ordentlich. Die ist weltberühmt, die hat sogar in Amerika schon jespielt, und der Führer hat se quasi jeadelt. Die frisst keen Fleisch, jenau wie er.«
    » Sie ist eine Vegetarierin?«
    » Jenau. Und weeßte warum? Det ist eine der Lieblingsanekdoten vom Lenzhuber, die wirste bald mal zu hören kriegen.«
    » Freundchen!« Werner steht plötzlich hinter Paul und packt ihn mit kräftigem Griff in den Nacken. Paul will aufjaulen, aber beißt sich auf die Lippe, die zu bluten anfängt. » Ist ja gut, ist ja gut«, stammelt er.
    Werner lässt ihn los. » Dass du mir nicht mehr so lästerst! Sie spielt Beethoven wie niemand sonst! Sonst lasse ich dich vier Wochen lang die Böden von eurer Baracke schrubben!«
    » Ist gut«, sagt Paul und zeigt sich zerknirscht, » ich hab’s ja nicht so gemeint.«
    » Dann sag’s auch nicht so.«
    Werner zieht ab, Paul schüttelt sich. » Blöder Bonzensohn, denkt immer, er wär wat Bessret!«
    Julius reicht dem Freund sein Taschentuch. » Die Lippe«, sagt er. Er sieht Werner hinterher. » Komm, wir verdrücken uns von hier.«
    Die beiden Jungen gehen den Berg etwas weiter hinauf in Richtung Musikbaracke. Es schmettert laut heraus, Julius versteht nur die Worte herzallerliebstes Mädchen mein.
    » Det is det Landsknechtständchen«, erklärt Paul, der nicht im Chor mitsingt, sondern die Trommel schlägt, » det wirste ooch noch lernen.«
    » Die Anekdote«, sagt Julius.
    » Ach ja«, macht Paul und sieht sich um. » Da hat sie mal von Schubert das Forellenquintett gespielt und eine Erleuchtung gehabt.«
    » Nämlich? Mach’s doch nicht so spannend!«
    » Dass der Schubert diese Musik eigentlich nur deshalb geschrieben hat, damit man hinterher keine Forellen mehr essen tut.«
    » Aha«, sagt Julius, » das ist ja erstaunlich.«
    » Ganz erstaunlich«, kichert Paul.
    Elly Ney hatte noch mehr solcher Erleuchtungen in ihrem Leben gehabt. In erster Ehe war sie mit einem Amerikaner verheiratet gewesen, doch 1933 war sie nach Deutschland zurückgekehrt und hatte um ihre Wiedereinbürgerung gebeten. Sie hatte Hitler im Rundfunk sprechen gehört. » Was für ein großartiger Mensch«, hatte sie gerufen, » was für eine tiefe Empfindung für die deutsche Kultur! Er hat mir aus der Seele gesprochen, endlich!«
    Sie meinte Hitlers Angriffe gegen alles Jüdische in der Kunst, das seiner – und ihrer – Ansicht nach intellektuell, herzlos und zynisch sei und nichts anderes im Sinn habe, es als die urdeutsche, nordische Kultur, die sie als Parasit bewohne, zu zerstören.
    In der Folge gab Elly Ney, wo sie nur konnte, Konzerte für die Partei. Sie unterstützte die Idee, jüdische Musiker aus allen öffentlichen Musikhäusern auszuschließen, indem sie mit dem Finger auf den einen oder anderen Kollegen zeigte, den sie anschließend selbstverständlich gern ersetzte, wie etwa beim Brahmsfest in Hamburg den Pianisten Rudolf Serkin. Sie stieg auch lieber in Hotels ab, in denen es » keine Juden gab wie früher immer«. Sie war sich mit Hitler in so vielem einig, dass sie ihm anbot, nur für ihn allein zu spielen, Schubert am liebsten, ganz intim. Für Vegetarier unter sich, sozusagen. Nur im Hinblick auf einen Komponisten gab es eine Meinungsverschiedenheit: Johannes Brahms. Elly Ney galt als große Interpretin von Brahms, doch Hitler mochte Brahms nicht. » Musik soll schön, gesund und natürlich sein«, sagte er, » und dieser Brahms ist nicht gesund! Er ist … er ist … er ist zu intellektuell. Er war nur eine von der Judenschaft in den Himmel gehobene Salongröße!«
    Elly Ney spielte ihren Brahms also künftig lieber in ihren eigenen vier Wänden und kaprizierte sich bei ihren öffentlichen Auftritten auf Beethoven. Sie spielte ihn, den sie wie einen Heiligen verehrte, bis dessen Heiligkeit durch ihre Person hindurchströmte und in das Publikum hinein, das ihr zu Füßen lag und atemlos lauschte. Sie las Briefe von Beethoven vor, sie erläuterte Beethovens Werke, sie zitierte Beethoven bei jeder Gelegenheit, sie gab sich wie die leibhaftige Inkarnation Beethovens oder wie die seiner Witwe. Ihr Haar wurde dabei immer grauer, und schließlich wurde es schlohweiß.
    Für die Jungen der Schule aber war Elly Ney in jenem September 1942 die berühmteste Musikerpersönlichkeit, die sie jemals aus allernächster Nähe erleben durften. Am Abend vor dem großen Ereignis kam

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