Der Tag mit Tiger - Roman
Kameraden hatten früher versucht, ihn mit seinem Aussehen aufzuziehen. Daraufhin hatte er ihnen ordentlich die Leviten gelesen. Tim ging keiner Rauferei aus dem Weg.
Tammy war der dunklere von beiden, aber sein Temperament war mit dem seines Bruders vergleichbar. Zudem hatte er eine noch kräftigere Gestalt geerbt, die es ihm möglich machte, sogar einige Streitereien mit dem Hofhund für sich zu entscheiden.
Diesen Morgen hatten die beiden ihren Reviergang abgeschlossen und tauschten jetzt ihre Beobachtungen aus.
»Da is ’ne Neue im Revier. Spilleriger Typ«, meinte Tammy.
»Vielleicht, vielleicht auch nicht. Hat Tiger ganz schön angefahren.«
Tammy hatte keine hohe Meinung von Tiger, seitdem er ihn eines Nachts mal prächtig verprügelt hatte.
»Das will nichts heißen.«
»Die knickohrige kleine Nina ist auch wieder unterwegs. Rassekatze, Stubenhocker. Solln wir die mal aufmischen?«
»Könnte ganz lustig werden. Falten wir ihr die Ohren doch mal richtig zusammen.«
Mit diesen freundlichen Absichten zogen die beiden los, um Nina aufzustöbern. Lange mussten sie die Cremefarbene nicht suchen, sie hielt ihr Nickerchen an einem sonnigen Platz, den sie in der Nähe des Baches gefunden hatte. Nina verließ nicht besonders häufig ihr Heim, aber an diesem Morgen war sie nicht pünktlich genug zurückgekommen, weshalb ihr Mensch Christian schon ausgegangen war. Da der Tag jedoch warm und trocken zu bleiben versprach, machte es ihr wenig aus, im Freien zu bleiben.
Außerdem hatte sie einige Zeit mit Tiger verbringen wollen, nur war der mit diesem spitzohrigen Frechling unterwegs. Nina mochte es überhaupt nicht, wenn irgendetwas ihre Pläne durchkreuzte. Dann dachte und handelte sie ziemlich inkonsequent und ein bisschen gemein.
Sie schlummerte traumlos und nichtsahnend im Licht-und Schatten-Muster der Weiden, als sie plötzlich unsanft geweckt wurde. Rechts und links von ihr standen Tim und Tammy.
»Na, Knickohr, ausgeschlafen?«
Nina blickte verärgert vom einen zum andern.
Tammy riet seinem Bruder über ihren Kopf hin: »Du musst lauter sprechen, bei den schlappen Ohren kann die dich doch gar nicht verstehen.«
Mittlerweile war Nina ausgesprochen entrüstet. »Sagt mal, was wollt ihr beiden eigentlich von mir?«
»Habe ich’s dir nicht gesagt, Tim, die versteht dich nicht.«
»Hey, Nina, haste die Schlappohren von Vati oder von Mutti?«
Nina stand auf und wollte weggehen.
Tim trat ihr in den Weg. »Hast du nicht gehört, mein Bruder hat dich was gefragt?«
»Mit euch beiden rede ich nicht«, versetzte Nina arrogant.
Tammy stellte sich an ihre Seite und stupste das eine abgeknickte Ohr an. »Wenn die noch schlapper werden, kannste die Augen damit zudecken. Dann brauchste nur noch das Maul zu halten.«
»Ach Tammy, viel zu sagen ham Rassekatzen doch sowieso nich. Denen züchten sie das Hirn weg.«
Nina wurde langsam stinksauer und verlor etwas die Übersicht über die Lage. Sie drehte sich um und versuchte Tim miteinem kräftigen Tatzenschlag über die Nase zu schlagen. Der war aber schon zurückgewichen und begann aus Leibeskräften zu schreien: »Die hat angefangen, die hat mich gehauen! Tammy hilf mir!« Dabei grinste er ganz unverschämt die wütende Nina an. Sofort ging Tammy in Angriffstellung und kreischte los.
Die Schreie und das Fauchen drangen in den Schlaf von Tiger und Anne vor. Beide waren sofort hellwach und lauschten.
»Was ist da los?«, wollte Anne wissen.
»Kämpfchen, weißt du doch. Darin hast du dich vorhin auch schon versucht.«
»Meinst du, es könnte Jakob sein? Sollten wir ihm nicht helfen?«
»In der Regel mischt man sich nicht ein, und außerdem ist es nicht Jakob, es ist – o verdammt! – es ist Nina!«
»Dann sollten wir uns wohl doch einmischen, oder?«
»Nix wir! Du hältst dich da ganz raus, das ist nicht deine Fellweite.«
Tiger sprang auf und schnellte mit gewaltigen Sätzen in Richtung Kampfeslärm.
»Junge, du unterschätzt mich«, rief Anne und folgte ihm.
Die Sprünge waren eine Wonne, ihr Körper streckte sich und zog sich zusammen in perfekter Koordination. Die Ballen berührten kaum den Boden, schon federten sie auch wieder ab. Die Muskeln von Schultern und Rücken spielten unter ihrem Fell, und der Wind pfiff leicht in den Schnurrhaaren. Zwei Sprünge noch, und sie hatte gleichzeitig mit Tiger den Ort des Geschehens erreicht.
Kurz erlaubte Anne sich eine Einschätzung der Lage. Zwei kräftige Kater standen in bedrohlicher Haltung rechts
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