Der Tag mit Tiger - Roman
schloss die Augen und genoss die Fürsorge. Nach all den Aufregungen, Umstellungen und Demütigungen fühlte sie sich jetzt plötzlich ganz glücklich. So schlief sie dann auch ein.
Freundschaft
Als die Wunden versorgt waren, hörten Nina und Tiger mit dem Putzen auf und legten sich ein gutes Stück abseits von Anne zusammen.
»Ist sie diejenige, von der ich glaube, dass sie es ist, Tiger?«
»Kannst du dir das nicht denken?«
Nina sah ihn an, dann wurde ihr Blick versonnen. Nach einer Weile sagte sie: »Ja, vor langer, langer Zeit hatte ich auch einmal solch eine Aufgabe. Er war ein feiner Mann, ein großer Gelehrter. Anschließend hatte er ein wundervolles grauweißes Fell, und du wirst es nicht glauben – Faltohren! Meine waren damals aber ganz spitz«, schloss sie stolz. »Schläft sie eigentlich?«, erkundigte sie sich dann mit einem Blick auf das grauschwarz getigerte Pelzknäuel.
»Tief und fest. Es war auch heute schon recht anstrengend für uns alle«, antwortete Tiger und wollte sich ebenfalls zum Dösen zurechtlegen.
»Du hast genug gepennt! Komm, erzähl mir lieber etwas von euch! Du bist bisher immer sehr sparsam mit den Äußerungen über dich gewesen.«
»Was gibt es da schon viel zu erzählen?«, erwiderte er.
»Na, ich weiß zum Beispiel nicht, wie du eigentlich zu Anne gekommen bist und wo du vorher warst. Ich war schon von Anfang an bei Christian.«
»Na gut, aber unterbrich mich nicht ständig und tratsch es anschließend nicht herum.«
Und so erzählte Tiger von seinem Werdegang in den letzten acht Jahren. Kurz nachdem seine Mutter ihn für selbständig erklärt hatte, suchte er sich aus den Interessenten für denWurf junger Katzen ein älteres Ehepaar aus, die auch seinen Ansprüchen mehr oder weniger genügten. »Spielen und rumtoben fanden die nicht so gut, aber das Futter war in Ordnung, und die Ansprache war einigermaßen intelligent. Die Frau mochte gerne Bücher, und manchmal hat sie mir laut vorgelesen, das war ganz nett. Ich mag Shakespeare«, schloss er sinnend. Dann setzte er fort, der alte Herr sei ein leidenschaftlicher Angler und sogar manchmal erfolgreich gewesen. »Mit unsereins konnte er sich zwar nicht messen, aber das Ergebnis war immer schmackhaft. Seitdem mag ich keinen Fisch aus Dosen mehr.«
»Warum bist du denn da weggegangen?«, wollte Nina trotz seiner Mahnung wissen und fing sich einen tadelnden Blick ein.
Dennoch antwortete ihr Tiger.
Eines Tages sei die Tochter der beiden in das Haus eingezogen. Ein griesgrämiges, verbittertes Geschöpf um die vierzig, das von ihrem Mann verlassen worden war und jetzt nichts anderes zu tun hatte, als ihren Eltern wieder zur Last zu fallen. »Sie hatte nichts gegen mich, im Gegenteil, sie betrachtete mich als Menschen-Welpen. Ständig flötete sie mit erhobener Stimme: ›Heidedei, mein süßes Katerchen, willst du wohl ein Tellerchen leer schlabbern?‹ Das mir, einem ausgewachsenen Kater mit ausgewähltem literarischem und kulinarischem Geschmack! Ein halbes Jahr habe ich das ausgehalten, dann sind die Alten für die Herbst- und Wintermonate in Urlaub gefahren, und ich musste mit der Quaktante alleine bleiben. Das gab mir fast den Rest. Die ging mir dermaßen auf den Pelz mit ihrem kindischen Geträller! Nur gut, dass sie mich nicht einsperren konnte. Die Katzentür war immer offen.Na, und so habe ich dann mein Revier erweitert und mich ein wenig nach einem neuen Menschen umgesehen.«
Er verstummte, und Nina versuchte ihn mit einer neuen Zwischenfrage zum Weiterreden zu animieren.
»Wie bist du auf Anne gekommen?«
Sie erntete zwar noch einen strafenden Blick, aber Tiger fuhr fort: »Das Haus lag ganz günstig. Die Alten wohnen auf der anderen Seite des Waldes, also kannte ich das Revier schon einigermaßen. Na ja, da habe ich Anne einige Tage beobachtet. Anfangs lebte da noch ein Mann bei ihr, aber die beiden stritten sich oft. Meine Bastet, war der Typ ein Weichei! Ich fand das ganz gut, dass sie ihn rausgeworfen hat.« Dann erklärte er Nina, dass manche Menschen, die von einem anderen verlassen wurden, häufig sehr dankbar für ein bisschen kätzische Zuneigung waren.
»Als ob ich das nicht wüsste!«
»Wenn du mich noch mal unterbrichst, erzähle ich dir gar nichts mehr.«
»Entschuldigung.«
»Na ja, Anne schien mir jedenfalls nicht so klebrig anhänglich zu sein wie diese Quaktante. Der hätte sich lieber ein getrimmter Pudel anschließen sollen.«
»Bah, was für ein vernichtendes Urteil!«
»Wenn sie
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