Der Tag mit Tiger - Roman
nicht gewesen wäre, wäre ich auch nicht fortgegangen. Nina, du weißt doch, auch unsereins fällt es schwer, die Menschen zu verlassen, die wir uns mal ausgesucht haben.«
»War Anne schon zuvor im Besitz einer Katze?«
»O nein. Das war das Reizvolle für mich. Überhaupt noch nicht verdorben und schnell von Begriff. Ich habe nur ein paar Mal zu drastischen Maßnahmen greifen müssen, dann war klar,wer Herr im Haus ist. Sie ist auch jetzt recht fix, aber ich zeige ihr das natürlich nicht.«
»Klar, Macho, ich habe dich auch noch nicht mit einer Maus zu ihr sausen sehen.«
»Ich habe dir gesagt, du sollst nicht dazwischenreden.«
»Okay, okay, ich zeige meine Gefühle meinem Menschen auch nicht allzu oft.«
Tiger schnaubte verächtlich. »Nein, Nina, du doch nicht. Nie wirfst du dich vor ihm auf den Boden, Bauch nach oben und schnurrst wie blödsinnig, nur damit er dir das Fell krault. Und das in aller Öffentlichkeit.«
»Na und? Ich bin eben sehr liebebedürftig, und Christian mag mich trotz meiner Ohren. Das konnte man von seiner Verflossenen nicht gerade behaupten. Die hat nicht gewollt, dass ich mich seiner annehme. Aber darüber spreche ich auch nicht gerne. Immer diese Demütigung, diese kleinen Spitzen! Und nur wegen meiner Ohren!« Die cremefarbene Kätzin richtete sich auf, Empörung im Blick. »Weißt du, was das Gemeinste war? Sie hat mir einmal eine Stunde lang Dudelsackmusik vorgespielt – in voller Lautstärke. Dieser Mistkäfer mit den rot lackierten Krallen! Bei meinem zarten, empfindlichen Gehör. Himmel noch mal, diese Musik war doch die Ursache, warum uns Scottish Fold schon vor Jahrhunderten die Ohren umgeknickt sind.«
»Wie fies!« Tiger grinste. »Und du hast nichts dagegen gemacht?«
»Ich bin eine gut erzogene, sanfte Person vornehmer Herkunft, anders als diese Schlampe. Aber dagegen habe ich natürlich etwas unternommen.« Nina sah so träumerisch drein, als sonne sie sich noch einmal in dem süßen Gefühl der Rache.»Egal, jetzt ist sie weg, abgezischt mit einem Diamantenhändler. Christian ist hierher gezogen, und alles ist in Ordnung, nicht wahr? So und jetzt muss ich mich putzen und dann doch noch etwas ruhen. Der Abend wird bestimmt noch interessant.«
Vier andere Freunde
Im Großen und Ganzen war das Dorf bislang von den Problemen der nahen Großstadt verschont geblieben. Die Polizei musste sich um gelegentliche Ruhestörungen oder abgestellte Autowracks kümmern, und der sensationellste Fall war vor einigen Jahren der Einbruchversuch in das Haus eines Bankdirektors gewesen. Erst in letzter Zeit hatte sich eine Gruppe Jugendlicher zusammengefunden, deren Streiche und Unternehmungen verstärkt von der Szene in der Stadt angeregt wurden. Sie hatten schon einige Delikte begangen, die über das Auskippen von Mülltonnen und das Austreten von Laternen hinausgingen. Bisher unentdeckt hatten sie drei Autos aufgebrochen und zu Spritztouren mit abschließendem Crash missbraucht, waren in ein Gartenhaus eingebrochen, während die Besitzer im Urlaub waren, und hatten, weil sie nichts Brauchbares fanden, wie die Vandalen darin gewütet.
Alf und Erni waren Brüder. Ihre Freunde, Stone und Dick genannt, waren gleichaltrig und folgten mit Begeisterung den Ideen der beiden anderen. In früheren Zeiten hätten sie ihre zerstörerischen Energien bei der Feldarbeit austoben können, so aber waren sie unausgelastet und uninteressiert an ihren Jobs. Alf arbeitete ohne Ehrgeiz als Lagerist in einer kleinen Baumaschinenfirma, Erni war arbeitslos und half gelegentlichan der Tankstelle im Ort aus. Hier fanden die Brüder auch immer wieder Gelegenheit, ihren altersschwachen Kleinwagen zu neuen Höchstleistungen aufzurüsten. Dick und Stone waren in unterschiedlichen Bereichen der Fertigung einer der großen Zulieferfirmen der Autoindustrie tätig, die sich im Industriegebiet der Stadt angesiedelt hatte. Dabei war Stone der einzige, der noch ein wenig mehr von seinem Beruf erwartete und zumindest mit dem Gedanken spielte, sich über seinen Lehrabschluss hinaus zu qualifizieren. Dick jedoch war solchen Ideen völlig abgeneigt, obwohl er sich durchaus vorstellen konnte, sich einmal selbst in führender Position wiederzufinden. Seiner Meinung nach musste das schon deswegen möglich sein, weil es auch einige seiner türkischen Kollegen geschafft hatten.
Diese vier Achtzehn- bis Zwanzigjährigen fanden wenig Unterstützung und schon gar keine Zuwendung in ihren Eltern, und von ihren gelegentlichen
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