Der Tag mit Tiger - Roman
einer langen und traditionsreichen Herkunft. Sie begann mit einem belanglosen Geplauder über das Wetter.
»Ein schöner Tag heute, nicht? Ich finde diese warmen Sonnenstrahlen wundervoll wohltuend auf dem Fell. Obwohl man so ausnehmend viel damit zu tun hat, das Unterfell auszubürsten, wenn es Sommer wird«, schloss sie ein wenig kritisch.
»Mhm«, stimmte Anne zu, aber Nina erwartete keine Antwort und fuhr fort: »Christian ist da natürlich sehr hilfreich. Hin und wieder bürstet er mein Fell – hach, du, das ist göttlich.«
Anne fand ihr Stichwort: »Er ist ein sehr freundlicher Mensch, nicht wahr? Er war auch zu mir Fremden sehr nett.«
»Das stimmt. Zu mir ist er natürlich immer sehr nett. Zu anderen Menschen kann er aber auch manchmal recht unangenehm werden. Einen von dieser grässlichen Bande hat er letzthin gewaltig zusammengestaucht, als er diesen alten Mann – Emil heißt er wohl – angepöbelt hat.«
»Er lässt dich aber auch ziemlich viel alleine tagsüber.«
»Sicher, er muss doch unser Futter verdienen. Meine gelegentlichen Mäuse reichen nun mal nicht für zwei.« Ihre Augen lächelten bei dieser ernsthaft hervorgebrachten Tatsache.
Anne, die diese Äußerung zunächst für etwas anmaßend hielt, erkannte, dass sie Nina ein bisschen aufziehen wollte. »Du könntest den Speisezettel um ein paar saftige Regenwürmer ergänzen«, schlug sie hilfreich vor.
Nina grinste leicht. »Lehnt er ab. Die nimmt er immer mit ganz spitzen Fingern hoch und wirft sie aus dem Fenster. Aber Spaß bei Seite, ich bin ganz gerne allein, bin nicht so eine Gesellschaftskatze. Weißt du, ich denke viel«, schloss sie sinnend. Nach einer kleinen Pause fuhr sie dann fort: »Schön ist es natürlich, wenn er sich Arbeit mit nach Hause nimmt, dann abends zusammen mit mir am Schreibtisch sitzt und seine Vorträge oder Artikel schreibt. Manchmal liest er mir die auch vor.«
»Wie aufregend, dann lernst du sicher unheimlich viel von ihm.«
»Ach nein, das sind nicht so meine Themen, Thermodynamik und Elektronik und so. Ich interessiere mich eher für das historische Gebiet. Da kannte ich mal einen Gelehrten … Aber das ist eine lange Geschichte. Also bei Christian höre ich lieber auf die Stimme, wenn er etwas vorträgt.«
»Mir scheint, er arbeitet ziemlich viel. Hat er denn gar keine anderen Interessen?«
»Ach, na ja, für mich hat er jedenfalls immer noch genug Zeit. Zweimal die Woche geht er abends auch weg. Ich glaube, er macht Krafttraining oder so was. Menschen haben nicht unsere natürliche Veranlagung, die müssen ständig etwas dafür tun, damit sie bei Kräften bleiben. Er läuft auch manchmal durch den Wald. Darüber haben sich hier schon einige Kollegen bitterlich bei mir beklagt. Aber was soll ich machen? Wenn ich ihm die Laufschuhe zerkaue, kauft er sich neue, und mit dem Zerreißen des Jogginganzugs habe ich mir auch nur Ärgereingehandelt. Also stört er weiter unsere Freunde bei der abendlichen Unterhaltung.«
Anne wurde bei diesen freizügigen Enthüllungen mutig und wagte zu fragen: »Hat er eigentlich eine Freundin? Er sieht für einen Menschen doch recht gut aus?«
Nina schien das neugierige Nachbohren nichts auszumachen. Sie redete gerne über ihren Menschen.
»Er war mit einer schrecklichen Zicke verheiratet. Ich glaube, das hat ihn erst mal abgeschreckt. Die war vielleicht ein Biest.« Nina schüttelte sich noch bei der Erinnerung an die schlechte Behandlung. »Als es mir einmal gar zu bunt wurde, habe ich ihren Kosmetikschrank aufgeräumt. Und mein eigenes Parfüm dazwischen gesprüht. Ha!«
Anne kicherte mit ihr. »Pfui, Nina, ich dachte, du wärst von Adel und viel zu vornehm für solche hässlichen Maßnahmen.«
»Adel hin, Adel her, auch für mich ist Rache süß.«
»Du sagst, diese Frau ist jetzt weg?«
»Ja, zum Glück. Und ich schmeichle mir, nicht unwesentlich dazu beigetragen zu haben. Denn zu guter Letzt stand Christian immer auf meiner Seite. Aber nach der Scheidung ging es uns beiden eine Zeitlang ziemlich schlecht. Finanziell und so. Darum musste Christian auch aus dem Haus ausziehen und hier diese kleine Wohnung mieten. Na ja, jetzt geht’s wohl wieder. Hoffentlich will er nicht wieder wegziehen. Ich habe mich gerade so schön an das Revier und die Kumpels hier gewöhnt.«
»Auch an Tim und Tammy?«
»Ach, weißt du, solche gibt’s immer irgendwo. Und so schlecht sind die nicht, nur ein bisschen vulgär. Sie haben aber auch ihre guten Seiten. Zum Beispiel
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