Der Tag mit Tiger - Roman
einem anderen Weg, an ihren desinteressierten Begleiter heranzukommen. Tiger putzte sichden Schwanz. Anne dachte nach und fand dann ein neues Argument. »Nina mag die Kinder sehr. Sie würde nicht wollen, dass denen etwas passiert.«
Tiger war bei den Hinterpfoten angelangt. Anne wagte einen letzten Versuch.
»Vielleicht können wir denen Cleos Schwanz abjagen?«
Endlich hörte Tiger mit dem Putzen auf und musterte sie strafend. »Kannst du nicht einen Moment lang das Maul halten, während ich überlege, was wir machen können.«
»Pfff.« Anne murrte leise, blieb aber still und begann sich demonstrativ und energisch den Schwanz zu bürsten. Dabei rasten ihre Gedanken. Telefonieren konnte sie nicht, mit Menschen sprechen konnte sie ebenfalls nicht. Vielleicht jedoch konnte sie ins Haus der Mazindes gelangen und laut kreischen. Das schien ihr eine machbare Lösung. Außerdem fragte sie sich, ob Nina wohl noch wach war.
»Du hast gleich keine Haare mehr am Schwanz«, machte Tiger sie aufmerksam.
»Was?« Anne starrte ihn verwirrt an.
»Und zieh die Zunge zurück, sonst siehst du noch blöder aus, als du bist.«
Hastig zog Anne die rosa Zungenspitze ins Mäulchen zurück, die vergessen zwischen den Vorderzähnen hervorlugte.
Tiger blickte versonnen in die Dunkelheit, dann überlegte er laut: »Ich habe eine Idee. Dieses Nachbarhaus von uns, das mit dem Turm … Also die Menschen, die darin wohnen, sind ein bisschen komisch. Sie haben überall im Garten und an den Eingängen solche Dinger eingebaut, die einen entsetzlichen Lärm machen, wenn man an bestimmten Stellen durchkommt.«
Anne argwöhnte: »Und das habt ihr schon weidlich ausprobiert, nicht wahr? Ich kann mich recht gut an den einen oder anderen Fehlalarm erinnern, der mich aus dem Schlaf gerissen hat.«
»Na ja, nach zwei, drei Rundgängen wussten wir, wo die Dinger sind, und dann war uns der Krawall auch zu laut. Aber heute könnte das ganz nützlich sein, meinst du nicht?«
»Tiger, du bist genial.«
Tiger sonnte sich kurz in der Bewunderung und fuhr dann fort: »Ich zeige dir, wo man entlanggehen muss.«
»Wieso ich?« Anne hatte sich inzwischen ihren Einsatz anders vorgestellt.
»Weil das ungefährlich ist, du Dussel.«
»Und wo willst du den Helden spielen?«
»Überhaupt nicht, ich beobachte die Jungs und gebe dir ein Zeichen, wenn’s losgeht.«
»Ob ich dir glauben kann?«
»Tu’s oder lass es bleiben.« Tiger wollte unwirsch weggehen, aber Anne hielt ihn zurück.
»Ich will nicht mit dir streiten. Dazu ist die Sache zu wichtig.«
Sie setzte sich neben ihn und wartete, bis er seinen kleinen Anfall von verletztem Stolz überwunden hatte. Es dauerte nicht lange, und er wandte sich ihr mit mehr gespieltem Grimm zu: »Und wie hast du dir das Ganze gedacht?«
»Ich dachte, wir sollten Nina herausholen und ihr die Sache erzählen. Sie kann doch sicher Christian wecken und ans Fenster holen, damit jemand sieht, was da passiert.«
»Mpff … Nina mochte Cleo. Die zwei sind oft miteinander umhergezogen. Die Idee ist nicht schlecht, auch wenn sie von dir ist.«
»Uii, welche Ehre! Darf ich die Gunst der Stunde nutzen und noch einen Vorschlag machen?«
»Red nicht soviel herum. Was willst du denn?«
»Ich möchte gerne in das Haus der Mazindes und die Leute warnen.«
»Spinnst du, da kommst du vielleicht nicht mehr raus.«
»Eben! Die vielleicht auch nicht.«
»Du löst den Alarm aus und sonst gar nichts!«
»Tiger, warum machst du mir ständig Vorschriften. Ich habe dich doch auch nie bevormundet.«
»So, hast du nicht? Und wer hat mich mit Wasser bespritzt, als ich meine Krallen an deinem Sofa gewetzt habe? Wer hat mich glauben machen wollen, Steak sei für Katzen ungesund? Wer hat mich gegen meinen Willen in einen engen, stinkenden Korb gesperrt und zum Tierarzt gefahren? Wer hat mir ein übel riechendes Flohhalsband umgewürgt? Und wer hat mir, um allem die Krone aufzusetzen, dieses grauenvolle Wurmmittel unter mein Fressen gemischt? Nicht bevormunden, dass ich nicht lache! So was nenne ich einem wehrlosen Geschöpf seinen Willen aufdrängen. Jawohl!«
Von dieser unerwarteten Tirade überwältigt schwieg Anne betroffen. Als sie ihre Sprache wiedergefunden hatte, wollte sie sich wütend rechtfertigen und setzte an: »Du musst doch einsehen, dass es nur zu deinem Besten …«
»Ach papperlapapp, hör auf damit! Sag mir lieber, wie du in das Haus hineinkommen würdest.«
Verblüfft über diesen Sinneswandel zuckten Annes
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