Der Tag wird kommen
angestarrt … und dann sind sie zum Angriff übergegangen. Erst haben sie die alte Leier abgespult, dass alle für die Ausbildungsrichtung ausgewählt werden, die am besten zu ihnen passt. Dann haben sie mich über die Richtlinien belehrt, die ich natürlich längst in- und auswendig kann.
Einerseits verstehe ich die anderen ja. Ich weiß, dass das alles richtig ist. Aber es kann doch nicht schaden, mal darüber nachzudenken, wie mein Leben aussehen würde, wenn ich für etwas anderes ausgewählt worden wäre. Oder wenn ich mir selbst hätte aussuchen dürfen, was ich machen will. Hätte ich mich dann für Technologie entschieden? Vielleicht. Wir haben ja keine Historiker. Der Rat sagt, wir wissen genug über die Vergangenheit. Alles, was wir wissen müssen, um nicht dieselben Fehler zu wiederholen. Wir brauchen keine Kräfte zu verschwenden, um das zu erforschen, was gewesen ist.
Trotzdem verstehe ich nicht ganz, warum wir nicht ein bisschen mehr wissen sollen. Das kann doch auch nützlich sein. Aber das habe ich Neon und den anderen natürlich nicht gesagt. Sie waren so sauer. Und ich muss gestehen, dass ich auch sauer auf dich war, als du mir ähnliche Fragen gestellt hast. Wahrscheinlich, weil ich so überrascht darüber war, dass mir diese Gedanken nicht selbst gekommen sind.
Ich bin bald erwachsen. In zwei Jahren bin ich fertig mit dem Studium. Ich kann für mich allein sorgen, aber ich habe dennoch ein bisschen Angst. Irgendetwas stimmt nicht ganz. Ich dachte, ich würde immer sicherer werden, je weiter ich vorankomme. Würde wissen, dass ich am richtigen Platz bin. Mich freuen, dass ich auf dem Weg in mein Leben als Erwachsene bin und keine NP mehr brauche. Stattdessen werde ich immer unsicherer. Bei anderen scheint das nicht so zu sein. Ich glaube, ich fühle mich einfach ein bisschen allein. Ich bin froh, dass ich mit dir reden kann. Das habe ich wirklich nicht erwartet, als ich Kontakt zu dir aufgenommen habe – dass ich einen Freund finden würde. Dass du es warst, der in meinem Leben gefehlt hat. Ich lerne so unglaublich viel, wenn ich mit dir rede. Du bist ganz anders, als ich mir jemanden aus deiner Zeit vorgestellt habe. Das macht mich ein bisschen skeptisch, ob wir wirklich alles Notwendige über die Vergangenheit wissen. Auch wenn der Rat sich das bestimmt genau überlegt hat. Sie müssen ja planen, wofür unsere Gesellschaft ihre Energien einsetzt. Danke, dass du so offen zu mir bist.
Deine Fera
Es erstaunt mich etwas, wie froh mich ihr Brief macht. Ich bin wichtig für sie. Es scheint nicht mal so, als hätte sie besonders Mitleid mit mir. Wir sind Freunde. Vielleicht sogar mehr als Freunde oder vielleicht können wir es werden. Ideal ist es ja nicht, dass sie glaubt, sie käme aus der Zukunft. Das macht es ein bisschen schwierig, sich zu treffen, es sei denn, sie bildet sich ein, durch die Zeit reisen zu können. Oder sagt sie vielleicht doch die Wahrheit? Ich werde beinahe rot, als ich das denke, aber was, wenn sie wirklich aus der Zukunft kommt? Das wäre ja unglaublich cool, wenn das möglich wäre …
Ich muss ihr sofort auf die Mail antworten. Unter Druck gesetzt und ausgelacht zu werden, darin habe ich ja lange Erfahrung. Ich bin ziemlich sicher, dass ich ihr helfen kann.
Liebe Fera,
Dr. Delfin ist für dich da. Du kannst einfach drauflosreden. Kümmere dich nicht um die Idioten in deiner Gruppe, die haben nur Angst, dass du mehr draufhast als sie. Keiner von denen hat irgendwas verstanden. Sie wollen nur, dass die anderen annehmen, sie hätten den Durchblick. Glaub mir, ich weiß, wie das ist, ausgelacht zu werden. Ich kenne dieses aggressive Lachen, das dir in den Rücken stechen, dich schwach machen soll. Aber weißt du was, Fera? Auch wenn es wehgetan hat, darfst du es nicht an dich heranlassen. Wunden verheilen. Danach bist du stärker. Weil du den Mut hast, allein dazustehen. Du hast den Mut, Fragen zu stellen. Du brauchst die anderen nicht, während sie einander brauchen. Du bist stärker als sie.
Dein Freund Hans Petter (Dr. Delfin)
Fera:
Guten Abend, Dr. Delfin.
Hans Petter:
Ebenso.
Fera:
Danke für die Mail, das hat mir gutgetan.
Hans Petter:
Wie schön. Vielleicht kannst du mir auch helfen.
Fera:
Geht es wieder um Andreas?
Hans Petter:
Im Moment nicht. Gestern habe ich herausgefunden, dass mein Vater nicht wollte, dass ich geboren werde.
Fera:
Wie hast du das herausgefunden?
Hans Petter:
Ich habe ihn gefragt, er hat geantwortet. Er ist gern
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