Der Tag wird kommen
ehrlich.
Fera:
Und was hat deine Mutter gesagt?
Hans Petter:
Ich habe es ihr nicht erzählt. Sie will immer helfen, aber dann wird alles nur noch schlimmer.
Fera:
Vielleicht eignen sich deine Eltern nicht als NPs?
Hans Petter:
Damit könntest du recht haben.
Fera:
Ich habe mal gehört, dass viele Kinder vernachlässigt wurden, bevor NP ein eigener Beruf geworden ist. Dass sie bei Eltern leben mussten, die nicht imstande waren, sich um sie zu kümmern. Manche haben sogar ihre eigenen Kinder misshandelt. Und niemand hat eingegriffen, weil man meinte, dass Eltern am besten geeignet wären, Kinder zu erziehen. Stimmt das?
Hans Petter:
Irgendwie schon. Aber sie misshandeln mich ja nicht. Was ist eigentlich ein NP?
Fera:
Ein Nachwuchspfleger.
Hans Petter:
Das ist ihr Beruf?
Fera:
Ja, sie haben das Talent und sind dafür ausgebildet worden. Sie wohnen mit jeweils vier Kindern zusammen, von deren Geburt an bis zu dem Tag, an dem sie in die Akademie umziehen.
Hans Petter:
Und was ist, wenn sie eigene Kinder bekommen?
Fera:
Viele von ihnen liefern natürlich Ei- und Samenzellen für die Fortpflanzung, aber NPs betreuen in der Regel nicht ihre eigenen Kinder. Das wäre wohl zu nah.
Hans Petter:
Das heißt also, dass niemand mit seinen eigenen Kindern zusammenlebt?
Fera:
Genau. Wir wachsen bei NPs auf, die uns die optimale Fürsorge und Förderung geben können. Das können die biologischen Eltern nicht leisten. Außerdem haben die genug mit ihren eigenen Berufen zu tun, für die sie ausgebildet wurden.
Hans Petter:
Wow. Also wird kein Kind misshandelt.
Fera:
Nein. Ich hoffe, du hältst mich nicht für voreingenommen, aber ich finde es ziemlich brutal von deiner Gesellschaft, dass sie die Vernachlässigung und nicht zuletzt die Misshandlung von Kindern duldet.
Hans Petter:
Ja, das ist ganz schön schlimm, eigentlich. Aber vermisst du deine Mutter denn nicht?
Fera:
Ich bin schon ein bisschen neugierig. Ich würde sie gern öfter sehen. Aber bedeutet das, dass ich sie vermisse? Wir haben ja nie zusammengewohnt. Es wäre schon ziemlich absurd, wenn sie ihre wichtigsten Projekte beenden würde, um sich um mich zu kümmern, wenn es doch jemanden gibt, der in Nachwuchspflege ausgebildet ist, weil er oder sie ganz besonders gute Voraussetzungen für diese Arbeit mitbringt. Oder?
Hans Petter:
Solange alle damit zufrieden sind, warum nicht. Aber findet deine Mutter das gut? Dass sie dich gar nicht kennt?
Fera:
Ich glaube schon, dass sie mich kennt. Wir sprechen ja jeden Monat miteinander.
Hans Petter:
Das kommt mir eher vor wie eine Art Tante.
Fera:
Tante?
Hans Petter:
Habt ihr keine Tanten? Das ist ein Familienmitglied. Die Schwester deiner Mutter, zum Beispiel. Die kennt dich zwar meist nicht besonders gut, will aber trotzdem alles über dich wissen.
Fera:
Meine Mutter kennt mich ja.
Hans Petter:
Sie wohnt aber doch nicht mit dir zusammen. Deine NP weiß viel mehr über dich, oder?
Fera:
Ich verstehe nicht, wieso dich das so beschäftigt. Was zählt, ist doch, dass die Person, die am besten dafür geeignet ist, mich großgezogen hat.
Hans Petter:
Ja, das habe ich schon verstanden. Mir fällt nur schwer zu begreifen, wie man das gut finden kann.
Fera:
Aber so ist es doch am besten für alle.
Hans Petter:
Ja, ja. Mein Dad wäre bestimmt auch für so eine Regelung gewesen.
Fera:
Manchmal wünsche ich mir schon, es wäre anders. Aber man muss auch Opfer bringen. Wir müssen die Menschheit beschützen.
Hans Petter:
Wovor denn?
Fera:
Wir haben gelernt, dass Menschen sich in die falsche Richtung entwickeln können, wenn die Umstände nicht optimal sind.
Hans Petter:
Und was ist die falsche Richtung?
Fera:
Wenn sie der Gesellschaft nicht nützen oder sie vielleicht sogar gefährden.
Hans Petter:
Du meinst, sie werden Scheißtypen, so wie Andreas?
Fera:
Zum Beispiel.
Hans Petter:
Damit wären wir wieder bei der Frage angelangt: Kann Andreas was dafür, dass er böse ist, oder nicht? Du hältst ihn für unschuldig.
Fera:
In gewisser Weise. Das ist ja ein weiterer Grund, warum die NPs so wichtig sind, dass nämlich niemand sich so ungünstig entwickelt.
Hans Petter:
Also wenn ich Mist baue, ist meine Mutter schuld?
Fera:
Ganz so einfach ist das auch wieder nicht. Eine Reihe von Faktoren spielen eine Rolle, und der Rat versucht, so viele wie möglich zu kontrollieren. Aber letztlich ist man für seine Handlungen natürlich selbst verantwortlich.
Hans Petter:
Mal
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