Der Talisman (German Edition)
prächtiges Gebäude und erzählte Yasha, dass sich das Museum direkt neben dem Opernhaus befand.
Dann begann der alte Mann in Erinnerungen an die Zeit zu schwelgen, in der Manaus durch den Handel mit Kautschuk eine sehr reiche Stadt gewesen war. Er hatte als junger Mann auf einer der Kautschukplantagen gearbeitet. In früheren Zeiten konnte man Gummi nur aus dem kostbaren weißen Saft des Kautschukbaumes herstellen. Schon die Indianer Amazoniens wussten den Saft des Kautschukbaumes zu nutzen. Sie nannten ihn den Baum, der Tränen weint, denn wenn man den Stamm des Kautschukbaumes anritzte, quoll der dickflüssige, weißliche Saft wie Tränen aus dem Schnitt. Der alte Mann redete noch immer und bemerkte nicht, dass Yasha schon längst weitergeeilt war. Im Museum war es herrlich kühl. Gleich im ersten Raum entdeckte Yasha den Diamanten. Er war in einer Vitrine ausgestellt. Der Junge drückte seine Nase an der Scheibe platt und betrachtete ihn genau. An einem kleinen Riss im Stein erkannte er sofort, dass das der Diamant des Sultans von Suzibo war! Langsam schritt ein Wächter durch den Raum. Missmutig registrierte er die Finger- und Nasenspuren, die Yasha auf der Glasvitrine hinterließ. Er wollte gerade zu einer Strafpredigt ansetzen und zuckte erstaunt zurück, als Yasha ihn anbrüllte: »Der hier gehört mir! Das ist mein Diamant. Ich habe ihn vom Sultan von Suzibo, der Diamant ist auf einer Wolke hierher gekommen. Machen Sie sofort die Vitrine auf!«
Es dauerte einen Augenblick, bis der Wächter sich von seinem Staunen erholt hatte und in der Lage war, seiner Empörung Luft zu verschaffen: »Wie bitte, du frecher Bengel? Rede nicht so einen Unfug. Sieh zu, dass du hier weg kommst!« Aber Yasha brüllte und tobte weiter um die Vitrine mit dem Diamanten herum. Dem Wärter riss nun endgültig der Geduldsfaden: »Pass auf, dass ich dich nicht selbst in eine Wolke verwandle!«, brüllte er außer sich vor Wut.
Angelockt durch
das Geschrei
liefen mehrere Wächter und viele neugierige Besucher in dem Raum mit der Vitrine zusammen. Unter ihnen auch der Bürgermeister und einige Würdenträger von Manaus. Wieder einmal steckte Yasha in ernsten Schwierigkeiten. Da fiel ihm sein Talisman ein. »Talisman, lass dir was einfallen, aber schnell!« Der Talisman ließ es dreimal ganz laut knallen, Funken flogen durch die Luft und schon stand Yasha in einem Sultansgewand vor der verdutzten Menge. Auf seinem Turban glänzte der große Diamant aus der Vitrine. Total verstört schauten die Umstehenden von der Vitrine zum Turban und vom Turban zur leeren Vitrine. »Macumba, Macumba, starker Zauber!«, schrien sie erschrocken. Macumba ist in Brasilien ein alter Volksglaube, zu dem die Hexerei mit weißer und schwarzer Magie gehört. Mit jemanden, der Macumba ausübt, möchte niemand etwas zu tun haben, denn vor den Zaubersprüchen fürchten sich alle Brasilianer sehr. Die große Menge verängstigter Menschen stand wie eine Wand vor Yasha. Keiner sprach etwas, keiner rührte sich. Alle waren wie versteinert.
Als Yasha anfing, seine Geschichte zu erzählen, bekreuzigten sich die Leute. Der Junge berichtete vom Zettel, auf dem nur die Worte »Trennung des Wassers« gestanden hatten und dass er seit Jahren auf der Suche nach seinen Eltern war.
Der Bürgermeister nahm seinen ganzen Mut zusammen und deutete auf den Talisman. »Dieser Talisman …!«, flüsterte er. »Ich habe von ihm gehört.« Und er berichtete Yasha, dass seine Eltern für Professor de Sellia gearbeitet hatten. Der Zauberer Dvorach hatte dem Bürgermeister von seinem verlorenen Sohn und dem Talisman erzählt. »Wo sind sie?«, unterbrach Yasha ganz aufgeregt. Beruhigend tätschelte der Bürgermeister Yasha die Schulter und nahm seine Erzählung wieder auf.
Professor de Sellia war inzwischen nach Spanien zurückgekehrt. Aber das Ehepaar Dvorach musste in Brasilien bleiben, da sie kein Geld für die Überfahrt besaßen. Von den Mineros, die glaubten, dass es Diamanten geregnet hätte, erfuhren sie von Rondônia, der Diamant-Hölle Brasiliens, einem sehr schlechten und bösen Ort. An die Berichte aus den Zeitungen, dass es am Amazonas Diamanten geregnet hätte, glaubten die Dvorachs nicht. Aber dass in den Minen von Rondônia Diamanten zu finden waren, da waren sie sich sicher. Und da sie schnell zu Geld kommen mussten, um in Europa nach ihrem Sohn suchen zu können, machte sich das Ehepaar Dvorach auf den langen und beschwerlichen Weg nach Rondônia.
Die
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