Der Talisman (German Edition)
Umstehenden
hatten sich entsetzt
bekreuzigt, als der Name Rondônia fiel. »Ja«, sagte der Bürgermeister, »Rondônia ist in der Tat ein fürchterlicher, gefährlicher Ort. Viele Diamanten, viele schlechte Menschen und der Tod warten auf jeden, der sich dorthin wagt!« Große Tränen kullerten Yashas Wangen hinunter. Seine Eltern hatten sich wegen ihm in Lebensgefahr begeben. »Ach, Talisman! Was machen wir jetzt?« Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten! Am Eingang des Museums ertönte ein unheimliches, heiseres Krähen. Beunruhigt lauschten alle den langsamen, schlurfenden Schritten, die von einem leisen, hellen Klimpern begleitet wurden und sich mit erschreckender Langsamkeit dem Raum näherten. Aus dem Halbdunkel des Flures tauchte ein dämonisches Wesen auf: Es war schwarz wie die Nacht, mit wirren, leuchtenden Augen und schäumendem Mund. An den Fetzen, das es trug, hingen hunderte kleiner Amulette, die leise vor sich hin klimperten. Unter dem Arm trug das Wesen einen Hahn, der furchtbar laut zu kreischen begann. Mit einem einzigen Schnitt durchtrennte der Macumbista dem Hahn die Kehle. Das Blut spritzte durch den Raum. Yasha war entsetzt. Schnell griff der Bürgermeister nach seinem Arm: »Warte, Yasha, der Macumbista wird jetzt deuten!« Der Macumbista schaute auf die Muster, die das Blut des Hahns auf dem Boden hinterlassen hatte, dann beugte er sich hinunter und strich mit seinen Fingern durch die frischen Blutspuren. Dabei machte er merkwürdige zuckende Bewegungen und fing an, heftig zu zittern. »Weg!«, schrie er auf Yasha zeigend: »Weg! Der Junge und sein Diamant werden sonst großes Unglück über Manaus bringen. Weg, weg, weg!«
In diesem Augenblick zerplatzte die Vitrine mit einem lauten Knall in tausend Scherben. Der Macumbista fiel von seiner Deutung erschöpft in Ohnmacht. Schnell wurde er von zwei Museumswächtern aus dem Raum getragen. Yasha war so verängstigt, dass seine Zähne laut klapperten. Auch die umstehenden Leute fürchteten sich und gerieten in Panik. Sie drängelten und schubsten, um möglichst schnell aus dem Museum zu entfliehen. »Du musst hier weg, Yasha!«, sagte der Bürgermeister dramatisch und schob Yasha mit sanftem Nachdruck vor sich her. Der arme Junge konnte kaum einen Fuß vor den anderen setzen, seine Beine schlotterten erbärmlich und fühlten sich an wie butterweiches Gummi. »Geh fort von hier und nimm den Diamanten mit, aber geh nicht nach Rondônia, denn das ist die Hölle!«, flüsterte der Bürgermeister dicht neben Yashas Ohr.
Aber genau das hatte Yasha vor. Denn er musste seine Eltern finden, koste es, was es wolle! »Talisman!«, murmelte er leise. »Ich wünsche, ich wünsche, ich wünsche nach Rondônia zu gelangen.« Es ruckelte und blitzte um ihn herum und ehe er sich versah, landete Yasha mit einem dumpfen Aufschlag direkt auf seinem Hosenboden. Schniefend wischte er sich den Dreck aus dem Gesicht. Yasha befand sich am Rand eines riesigen Kraters. Hier war wirklich die Hölle. Undurchdringlicher Dschungel grenzte an eine riesige Fläche aus schier endlosen Mengen an Geröll, Sand und stinkendem Schlamm. Vorsichtig spähte der Junge in den Krater hinunter. Hier in der Diamantmine von Rondônia arbeiteten tausende von abgemagerten, schlammverkrusteten Menschen in der glühenden Hitze. Auf dem matschigen Boden des Kraters schlugen ausgemergelte Elendsgestalten das harte Gestein in kleine Stücke, andere füllten ihre Tragekörbe damit. Auf wackligen Leitern kletterten die Träger unermüdlich mit den schweren Körben auf dem Rücken nach oben.
Am Rande
des Kraters neben
einem steinernen Gebäudekomplex schütteten sie unter strenger Aufsicht ihre Körbe vor schwer bewaffneten Männern aus. Yasha sah, dass einige so erschöpft waren, dass sie von den Leitern abrutschten und in den Krater herabstürzten. Es war ein trostloser Anblick. Die Vorstellung, dass seine Eltern hier in Rondônia waren, ließ ihn verzweifeln.
Plötzlich legte sich eine schwere Hand auf Yashas Schulter und der Junge fuhr erschrocken zusammen: »Fauler Bengel, was sitzt du hier herum? Scher dich sofort an die Arbeit!« Langsam drehte sich Yasha um. Vor ihm stand ein gewaltiger Kerl mit einem Gewehr in der Hand, ein Aufseher. Hastig versuchte Yasha zu erklären, dass er nicht zu den Arbeitern gehörte. Da brüllte der Aufseher: »Wo ist dein Schein? Der Passierschein?«
Natürlich besaß Yasha keinen Passierschein, der ihm erlaubt hätte, sich frei auf dem Gelände der
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