Der Talisman (German Edition)
Weideland. In der Puszta fing er die schönsten Wildpferde ein, die man sich nur erträumen konnte. Eines Tages tauchte eine Gruppe Reiter auf dem Hof von Georgy auf. Die Fremden waren in lange Gewänder gehüllt und trugen Turbane mit Gesichtsschleier. Es waren Kaufleute aus Afrika, sie waren aus dem Süden Algeriens gekommen. Als Georgy ihren Anführer auf seine Pferdekoppeln führte, begannen die dunklen Augen des Afrikaners zu strahlen. »Gott hat den Menschen aus Erde gemacht, das Pferd aber schuf er aus Wind«, sagte er feierlich. Sorgfältig wählte er aus der Herde sieben wunderschöne Pferde aus und rieb sich vor Freude die Hände. Georgy nannte dem Fremden einen sehr hohen Preis, viel höher als in Ungarn üblich. Doch der Kaufmann zahlte die geforderte Summe ohne zu feilschen, dann deutete er auf den schönen weißen Hengst mit der schwarzen, herzförmigen Blesse: »Das Tier werde ich Abdul Khemir verkaufen. Wegen des Herzens! Er wird mir das edle Tier in Gold aufwiegen, der alte ›Herzensbrecher‹!«
Georgy freute sich über
das gute Geschäft
und lud die Kaufleute ein, die Nacht bei ihm auf dem Hof zu verbringen. Beim Abendessen erzählten sie ihm von einem ungarischen Mädchen, das als Sklavin im Harem des berüchtigten Sklavenhändlers Abdul Khemir lebte. Ihr Name war Panna. Überall in Algerien lobte man die Schönheit und Klugheit der kleinen Ungarin. Ihr Ruf als Heilerin war im ganzen Land bekannt … Georgy merkte sich jedes Wort, denn er kannte Panna gut. Früh am nächsten Morgen schickte er einen Boten nach Budapest, um seinem Vetter, Graf Gregorio, die furchtbaren Neuigkeiten zu überbringen.
»Sicher weißt du nicht, dass Panna in Spanien Heilkunde studiert hat«, fuhr Graf Gregorio fort. »Sie war nach deinem Unfall mit dem Stier völlig verzweifelt und hat sehr darunter gelitten, dass sie dir nicht helfen konnte. Die Ärzte hatten uns gesagt, dass du sterben wirst. Ja, da ging unsere Panna an die medizinische Universität in Toledo und ist jetzt eine sehr bekannte Heilerin. Das scheint ihr in diesem Fall zum Verhängnis geworden zu sein. Yasha, du musst sie unbedingt befreien!«
Verlegen schaute Yasha auf seine Zehenspitzen herunter und dachte an seinen unrühmlichen Auftritt in der Stierkampfarena von Granada. Erst jetzt wurde ihm bewusst, wie viel Kummer er Panna und Graf Gregorio bereitet hatte.
Unbeirrt von Yashas gedrückter
Stimmung fasste
Graf Gregorio den Rest der Geschichte zusammen: Abdul Khemirs Sohn, Mussad, hatte Panna in Toledo an der medizinischen Universität kennengelernt. Dieser Mussad hatte es irgendwie geschafft, das Mädchen nach Algerien zu locken. In Tamanrasset, einer großen Stadt in der algerischen Sahara, verlor sich jede Spur von Mussad und Panna.
»Yasha, wir müssen sofort etwas unternehmen!« Graf Gregorio nickte nachdrücklich und unterstrich seinen letzten Satz mit einer heftigen Handbewegung.
Schnell war das weitere Vorgehen besprochen und die beiden Freunde begaben sich in eine große Bücherei, um Informationen über Nordafrika und die Sahara zu sammeln. Während sie eifrig Karten und Bücher studierten, begannen Graf Gregorios Augen zu leuchten. Er hätte seinen Freund nur zu gerne nach Tamanrasset begleitet, denn die Reise versprach abenteuerlich zu werden. Aber er hatte versprochen in Budapest zu bleiben und auf Yashas Eltern zu warten. »Wann willst du los?«, tönte es hinter dem schweren Bildband hervor, hinter dem sich Graf Gregorio verschanzt hatte. »Jetzt!«, wisperte Yasha zurück. »Talisman! Ich wünsche, ich wünsche, ich wünsche nach Tamanrasset zu reisen!« Es knallte und blitzte in dem sonst so ruhigen Lesesaal der Bibliothek. Der Bibliothekar, der gerade dabei war, Bücher in das oberste Regalfach zu sortieren, fiel vor Schreck fast von der Leiter. Doch davon merkte Yasha nichts mehr.
Um ihm einen Vorgeschmack auf sein nächstes Abenteuer zu geben, wurde der Junge mächtig geschüttelt und gerüttelt. Ja, er erstickte fast in der grässlichen Staubwolke, die ihm der Talisman für diese Reise zugedacht hatte. Dann landete Yasha ganz unsanft auf einem Kaktus am Rande der Stadt Tamanrasset. »Aua, autsch, ausgerechnet … aah!«, jammerte Yasha, während er sich die spitzen Stacheln vom Kaktus aus dem Hinterteil zog.
Tamanrasset ist eine große, schmutzige Stadt in der algerischen Sahara. Die Menschen, die Yasha nach Abdul Khemir fragte, spuckten alle verächtlich auf den staubigen Boden:
»Hier in Tamanrasset, nichts Khemir.
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