Der Talisman (German Edition)
wackelte bedrohlich, als der Vampir sich fallen ließ und mit einer eleganten Drehung auf den Füßen landete. Der zweite Vampir zog seine Flügel fest um sich herum und zischte ärgerlich. In diesem Moment erschien Georgy. Er hatte es tatsächlich geschafft, ein Boot zu organisieren. Der Pferdehändler hatte ein Ruder mitgebracht. Sie kletterten auf die Ladefläche und steckten es durch die Gitterstäbe. Die Vampire kreischten und bissen wütend in das Ruder, aber das half ihnen nicht. »Vorsicht! Pass auf, dass sie dich nicht beißen! Und jetzt zugleich!«, zischte Georgy Yasha zu. Jeder nahm eine Seite des Ruders. Mit einem Ruck wuchteten sie den Käfig vom Wagen. Dann brachten sie ihre unheimliche Fracht zum Boot.
Eine halbe
Stunde vor
Mitternacht erreichten sie Kloster Snagov und schleppten den Käfig in die Kapelle. Schwaches Mondlicht fiel durch die schwere Eichentür. Georgys Taschenlampe warf geisterhafte Schatten an die prachtvoll vergoldeten Wände. Der Lichtkegel blieb auf dem Boden vor dem Altar an einer schmucklosen Platte hängen. Sie war mit einem schmalen Marmorrand eingefasst und trug keine Inschrift. »Das Grab von Fürst Vlad Draculea habe ich mir ganz anders vorgestellt!«, wisperte Georgy leise. »Ja, ich auch! Aber das muss es sein! Der grausame Fürst lebte vor 400 Jahren. Schau, wie alt die Grabplatte aussieht! Stell den Käfig ab!«, antwortete Yasha atemlos. »Öffnen!«, schrie Georgy. Seine Stimme hallte von den Wänden zurück. »Öffnen! Öffnen! Öffnen!« Der Strahl seiner Taschenlampe beleuchtete das Schloss des Käfigs.
Fast wäre Yasha der Schlüssel aus den Händen geglitten. Die Vampire drängten sich ihm entgegen und versuchten, ihre Hände durch die Gitter zu schieben. Plötzlich fühlte Yasha einen brennenden Schmerz, Blut sickerte aus einem Kratzer, der sich quer über seinen Handrücken zog. Georgy griff nach dem Ruder, holte aus und schlug damit auf den Käfig. Erschrocken schauten die Vampire nach oben. Blitzschnell drehte Yasha den Schlüssel um und sprang zur Seite. Dabei stieß er mit Georgy zusammen, die Taschenlampe fiel zu Boden und erlosch. Die Käfigtür wurde aufgestoßen.
Im Mondlicht sahen sie,
dass sich die Vampire mit kräftigen Flügelschlägen unter die Decke der Kapelle flüchteten. Ein dumpfer Knall ließ Yasha und Georgy erstarren. »Mein Gott! Die Tür ist zugefallen! Komm, Yasha! Hier bin ich! Nimm meine Hand! Wir müssen zusammenbleiben! Schnell! Wenn die Glocke Mitternacht schlägt, haben die Bestien wieder ihre volle Macht. Und sie finden uns auch im Dunkeln, denn sie haben dich verletzt und riechen dein Blut!«, schrie Georgy durch die Dunkelheit und rüttelte mit aller Kraft an der Tür. Etwas Weiches streifte Yashas Gesicht. Für einen Augenblick nahm er den modrigen Geruch des Vampirs war. Panik stieg in ihm hoch. »Talisman«, flehte er, »so hilf uns doch!« Vielleicht hatte der Talisman so viel Angst, dass er wie Georgy erstarrt war. Auf jeden Fall reagierte er nicht. Im Dunkeln tastete Yasha im Rucksack herum. Einige Knoblauchknollen rollten über den Boden, als er das Kruzifix von Großmutter Knall herauszog und es dem Pferdehändler in die Hand drückte. Die ausgehungerten Vampire schwirrten nun dicht um sie herum. Yasha spürte den Lufthauch ihrer Flügel, als er die Knoblauchknollen mit aller Wucht um sich warf. Dummerweise verhielt es sich mit dem Knoblauch so wie mit dem Sonnenlicht. Das hatte den beiden Vampiren nämlich gar nicht geschadet. Ganz im Gegenteil: Sie wurden immer dreister und griffen ihre Opfer nun im Sturzflug an. Verzweifelt riss Yasha einen Kirchenstuhl an sich und wirbelte ihn durch die Dunkelheit. Getroffen kreischten die Vampire, aber leider auch Georgy, den Yasha aus Versehen erwischte. Stöhnend fiel der Pferdehändler zu Boden. In diesem Moment begann der steinerne Schmetterling so stark zu glühen, dass er Yasha fast verbrannte. »Jetzt! Bitte, Talisman! Ich wünsche, ich wünsche, ich wünsche weit weg von hier zu sein! Bring uns nach Ungarn zurück!«, brüllte Yasha und klammerte sich an Georgy fest. Die Reaktion war grandios. Mit gewaltigem Dröhnen sprang die Tür der Kapelle auf. Mit Georgy im Arm wurde Yasha in die Nacht gewirbelt. Ihm wurde so schwindelig, dass die glitzernden Sterne vor seinen Augen verschwammen.
Die Sonne schien über der Puszta und die Pferde weideten friedlich auf der Koppel. Nicht einmal an der Arbeit des neuen Stallburschen hatte Anna etwas auszusetzen. Aber ihre Stimmung
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