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Der Talisman

Der Talisman

Titel: Der Talisman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King und Peter Straub
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der einem Unwürdigen eine große Gnade erweist. »Und nun zieh die Hose hoch, du erbärmliches Ferkel.«
    Schnüffelnd bückte sich Morton und griff nach seiner Hose.
    Die Jungen gingen hinunter zur Beichte und zum Abendessen.
     
    3
     
    Die Beichte fand in einem großen Raum mit kahlen Wänden statt, der dem Speisesaal gegenüberlag. Die aufreizenden Düfte von gebackenenen Bohnen und Hot dogs trieben herüber, und Jack sah, dass Wolfs Nasenlöcher rhythmisch bebten. Zum ersten Mal an diesem Nachmittag war dieser teilnahmslose Ausdruck aus seinen Augen verschwunden und etwas wie Interesse darin erschienen.
    Jack sah der Beichte mit mehr Besorgnis entgegen, als er Wolf eingestanden hatte. Als er mit den Händen unter dem Kopf auf dem oberen Bett lag, hatte er in einer Ecke unter der Decke etwas Schwarzes gesehen. Ein oder zwei Augenblicke lang hatte er geglaubt, es wäre irgendein toter Käfer oder auch nur seine leere Hülle – er dachte, wenn er näher herankäme, würde er vielleicht das Spinnennetz sehen, in das er geraten war. Es war eine Wanze, aber keine von der organischen Sorte. Es war ein kleines, altmodisch aussehendes Abhörgerät, mit einer Schrauböse an der Wand befestigt. Aus seiner Rückseite schlängelte sich ein Kabel heraus und verschwand durch ein in den Putz geschlagenes Loch. Man hatte keinen Versuch unternommen, es zu verstecken. Gehört zum Service, Jungen. Sunlight Gardener hört euch zu.
    Nach der Entdeckung der Wanze, nach der hässlichen kleinen Szene mit Morton auf dem Korridor war er darauf gefasst gewesen, dass die Beichte eine unerfreuliche, vielleicht beängstigende und einschüchternde Angelegenheit war. Irgend jemand, vielleicht Sunlight Gardener selbst, wahrscheinlich aber Sonny Singer oder Hector Bast, würde aus ihm das Eingeständnis herauszuholen versuchen, dass er unterwegs Rauschgift genommen hatte, dass er auf jeden Gehsteig gespuckt hatte, den er unterwegs entdecken konnte, und dass er nach einem harten Tag auf den Straßen mit sich selbst gespielt hatte. Wenn er nichts davon getan hatte, dann würden sie ihm zusetzen, bis er es gestand. Sie würden versuchen, ihn zu zerbrechen. Jack glaubte, einer solchen Behandlung standhalten zu können, aber er war nicht sicher, ob Wolf es können würde.
    Doch was ihn an der Beichte am meisten verstörte, war der Eifer, mit dem die Jungen des Heims dabei waren.
    Der innere Kader – die Jungen in den weißen Rollkragenpullovern – ließ sich in der vorderen Reihe nieder. Jack sah sich um und stellte fest, dass die anderen mit einer Art einfältiger Erwartung zur offenen Tür hinüberblickten. Er dachte, es wäre das Abendessen, das sie erwarteten – es roch wirklich verdammt gut, zumal nach all diesen Wochen mit Hamburgern aus dem Schnellimbiss, durchsetzt mit großen Portionen von überhaupt nichts. Dann kam Sunlight Gardener flott hereingeschritten, und Jack bemerkte, dass sich die Erwartung auf ihren Gesichtern in Genugtuung verwandelte. Offenbar war es doch nicht das Abendessen, das sie herbeigesehnt hatten. Morton, der noch fünfzehn Minuten zuvor mit der Hose auf den Knöcheln auf dem oberen Korridor gezittert hatte, blickte fast verzückt drein.
    Die Jungen erhoben sich. Wolf blieb verwirrt dreinschauend und mit bebenden Nüstern sitzen, bis Jack ihn hochzerrte.
    »Tu, was die anderen tun, Wolf«, murmelte er.
    »Setzt euch, Jungen«, sagte Gardener lächelnd. »Bitte, setzt euch.«
    Sie setzten sich. Gardener trug verblichene Bluejeans und dazu ein offenes Hemd aus blendendweißer Seide. Er sah sie an, lächelte huldreich. Die Jungen erwiderten den Blick verehrungsvoll – die meisten jedenfalls. Jack entdeckte einen Jungen – mit gewelltem braunem Haar, dessen Ansatz sich bis in die Stirnmitte herunterzog, fliehendem Kinn, zarten kleinen Händen, die so bleich waren wie Onkel Tommys Delfter Fayencen –, der sich abwendete und eine Hand vor den Mund hielt, um ein spöttisches Lächeln zu verbergen, und er, Jack, verspürte ein wenig Ermutigung. Offenbar war das, was hier passieren sollte, nicht allen zu Kopfe gestiegen – aber doch sehr vielen. So wie die Dinge lagen, schienen die Köpfe regelrecht aufgebläht. Ein Junge mit vorstehenden Zähnen sah Sunlight Gardener mit vergötterndem Blick an.
    »Lasst uns beten. Heck, sprichst du?«
    Heck tat es. Er betete schnell und mechanisch. Es war, als liefe eine von einem Dyslektiker besprochene Schallplatte ab. Nachdem er Gott gebeten hatte, ihnen in den vor ihnen liegenden

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