Der Talisman
…«
»Hör auf! Hör auf, Wolf! Wir sind zurück!«
»Nein, nein, n …«
Wolf brach ab. Dann öffnete er langsam die Augen.
»Zurück?«
»Jawohl, gleich hier und jetzt, also lass mich los, du brichst mir die Rippen, und außerdem steckt mein Fuß in dem verdammten …«
Die Tür zwischen der Toilette und dem Flur flog auf. Sie knallte so heftig gegen die gekachelte Wand, dass die Milchglasscheibe zersprang.
Dann wurde die Kabinentür aufgerissen. Andy Warwick warf einen Blick hinein und sprach drei wütende, verächtliche Worte.
»Ihr verdammten Schwulen.«
Er packte den benommenen Wolf beim Vorderteil seines karierten Hemdes und zerrte ihn heraus. Wolfs Hose blieb am Stahldeckel des Toilettenpapierhalters hängen und riss das ganze Ding aus der Wand. Es flog durch die Luft. Die Rolle Toilettenpapier löste sich und entrollte sich auf dem Fußboden. Warwick stieß Wolf gegen die Waschbecken, die gerade die richtige Höhe hatten, um ihn in die Geschlechtsteile zu treffen. Wolf stürzte schmerzgepeinigt zu Boden.
Warwick wendete sich Jack zu, und Sonny Singer erschien an der Kabinentür. Er griff hinein und packte Jack beim Hemd.
»So, du Träne …« setzte Sonny an, aber weiter kam er nicht. Seit dem Tage, an dem er und Wolf in diesem Haus eingesperrt saßen, hatte Sonny Singer es auf Jack abgesehen. Sonny Singer mit seinem dunklen, verschlagenen Gesicht, das genauso aussehen wollte wie Sunlight Gardeners Gesicht (und zwar so bald wie möglich). Sonny Singer, der den reizenden Kosenamen Rotzgesicht geprägt hatte. Sonny Singer, von dem zweifellos die Idee stammte, in ihre Betten zu pissen.
Jack ließ seine rechte Faust vorschießen, nicht in Form eines wilden Schwingers auf Heck Bast-Manier, sondern gerade und kraftvoll aus dem Ellenbogen heraus. Seine Faust traf auf Sonnys Nase. Es gab ein hörbares Krachen. Jack erlebte einen Augenblick tiefster Befriedigung.
»So!« rief Jack. Er zog seinen Fuß aus dem Toilettenbecken. Ein großes Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus, und er schickte mit aller Kraft, deren er fähig war, einen Gedanken zu Wolf:
Wir halten uns gar nicht so schlecht, Wolf – du hast dem einen Bastard die Hand gebrochen, und ich habe dem anderen Bastard die Nase gebrochen.
Sonny taumelte schreiend rückwärts. Blut spritzte durch seine Finger.
Jack kam aus der Kabine heraus und hielt die Fäuste kampfbereit vor der Brust. »Ich habe dir doch gesagt, du sollst dich vor mir in acht nehmen, Sonny. Jetzt werde ich dir beibringen, wie man Halleluja sagt.«
»Heck!« schrie Sonny. »Andy! Casey! Irgendwer!«
»Du hast ja Angst, Sonny«, sagte Jack. »Ich weiß nicht, warum …«
Und dann stürzte etwas – etwas, das sich anfühlte wie eine ganze Mulde voller Ziegelsteine – auf sein Genick und trieb ihn vorwärts gegen einen der Spiegel über den Waschbecken. Wenn er aus Glas gewesen wäre, wäre er zerbrochen, und Jack hätte sich böse geschnitten. Aber alle Spiegel hier bestanden aus poliertem Stahl. Man wollte keine Selbstmorde im Sunlight-Heim.
Jack schaffte es, einen Arm hochzubekommen und den Schlag ein wenig abzumildern, aber er war noch immer benommen, als er sich umdrehte und Heck Bast entdeckte, der ihn angrinste. Heck Bast hatte ihn mit dem Gips an seiner rechten Hand geschlagen.
Und als er Heck ansah, überfiel ihn eine plötzliche, Übelkeit erregende Erkenntnis. Du warst das!
»Das hat verdammt weh getan«, sagte Heck und hielt die eingegipste Hand in der Linken, »aber es hat sich gelohnt, Rotzgesicht.« Er kam wieder näher.
Du warst das! Du warst das, der in dieser anderen Welt über Ferd stand und ihn zu Tode prügelte. Du warst das, du warst der Wasserspeier, es war dein Twinner!
Eine Wut, die so heiß war wie Scham, ergriff von Jack Besitz. Als Heck in Reichweite gekommen war, lehnte sich tack gegen das Waschbecken, packte seine Kante fest mit beiden Händel, und stieß mit beiden Füßen zu. Er traf Heck Bast mitten vor die Brust, so dass er rückwärts in die offene Kabine torkelte. Der Schuh, mit dem er bei der Rückkehr nach Indiana in einem Toilettenbecken gelandet war, hinterließ einen klar umrissenen nassen Abdruck auf Hecks weißem Rollkragenpullover. Wasser spritzte auf, als Heck mit verblüfftem Gesicht im Toilettenbecken saß. Sein Gips klapperte gegen Porzellan.
Jetzt drängten sich andere herein. Wolf versuchte, auf die Beine zu kommen. Das Haar hing ihm ins Gesicht, Jonny näherte sich ihm, eine Hand noch immer vor der blutenden
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