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Der Talisman

Der Talisman

Titel: Der Talisman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King und Peter Straub
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geschmeidigen Anmut, die Jack daran erinnerte, wie sich Osmond auf jenem schlammigen Scheunenhof dem Kutscher zugewandt hatte, huschte Gardener an Wolfs blinde Seite. Die Nadel blitzte auf und fuhr herab. Wolf wirbelte herum, brüllte, als wäre er gestochen worden – und genau das war geschehen. Er griff nach der Spritze, aber Gardener wich seinem Zugriff geschickt aus.
    Die Jungen, die auf ihre benommene Sunlight-Heim-Art zugeschaut hatten, traten jetzt eilig den Rückzug zur Tür an. Mit dem großen, einfältigen Wolf in solcher Wut wollten sie nichts zu tun haben.
    »Lasst ihn LOS! Lasst – ihn – lasst ihn …«
    »Wolf!«
    »Jack – Jacky …«
    Wolf betrachtete ihn mit verwirrten Augen, die ihre Farbe wie ein merkwürdiges Kaleidoskop von Haselnußbraun über Orange zu Trübrot veränderten. Er streckte Jack seine behaarten Hände entgegen, und dann trat Hector Bast hinter ihn und schlug ihn zu Boden.
    »Wolf! Wolf!« Jack starrte ihn mit nassen, wütenden Augen an. »Wenn du ihn umgebracht hast, du Schwein …«
    »Ganz ruhig, Mr. Jack Parker«, flüsterte ihm Gardener ins Ohr, und Jack spürte den Stich der Nadel im Oberarm. »Ganz ruhig jetzt. Wir werden ein bisschen Sonnenlicht in deine Seele bringen. Und dann werden wir vielleicht sehen, wie es dir gefällt, einen Karren die Serpentinenstraße hinaufzuzerren. Kannst du Halleluja sagen?« Dieses eine Wort folgte ihm in dunkle Bewusstlosigkeit.

 
Sechsundzwanzigstes Kapitel
     
    Wolf in der Box
     
    1
     
    Jack war schon eine ganze Weile wach, bevor sie merkten, dass er wach war, aber er begriff nur ganz allmählich, wer er war und was mit ihm geschehen war und in welcher Lage er sich befand – in gewisser Weise glich er einem Soldaten, der ein massiertes, anhaltendes Trommelfeuer überlebt hat. Sein Arm pochte, wo Gardener die Spritze hineingejagt hatte. Sein Kopf schmerzte so heftig, dass ihm war, als pulsierten seine Augäpfel. Er hatte rasenden Durst.
    Er tat einen weiteren Schritt ins Bewusstsein, als er versuchte, die schmerzende Stelle an seinem rechten Oberarm mit der linken Hand zu berühren. Er konnte es nicht. Irgendwie waren seine Arme um seinen Körper geschlungen. Er roch altes, schimmeliges Segeltuch – es war der Geruch eines Boy Scout-Zeltes, das man nach vielen dunklen Jahren auf dem Dachboden wieder gefunden hat. Erst nachdem er es ungefähr zehn Minuten lang durch die fast geschlossenen Lider hindurch betrachtet hatte, begriff er, was er da trug. Es war eine Zwangsjacke.
    Ferd hätte das schneller kapiert, Jacko, dachte er, und der Gedanke an Ferd half ihm, seine Gedanken trotz der rasenden Kopfschmerzen zu ordnen. Er bewegte sich ein wenig, und der Schmerz, der ihm dabei durch den Kopf schoss, ließ ihn unwillkürlich aufstöhnen.
    Heck Bast: »Er wacht auf.«
    Sunlight Gardener: »Nein, das tut er nicht. Die Spritze, die ich ihm gegeben habe, hätte ausgereicht, einen ausgewachsenen Alligator zu betäuben. Er wird frühestens gegen neun wieder zu sich kommen. Er träumt nur ein bisschen. Heck, ich möchte, dass du nach oben gehst und den Jungen die Beichte abnimmst. Sag ihnen, dass die Abendandacht heute ausfällt; ich muss jemanden vom Flugplatz abholen, und das dürfte auch nur der Anfang einer sehr langen Nacht sein. Sonny, du bleibst und hilfst mir bei der Buchführung.«
    Heck: »Es klang aber so, als wachte er auf.«
    Sunlight: »Geh jetzt, Heck. Bobby Peabody soll Wolf überprüfen.«
    Sonny (höhnisch): »Es gefällt ihm wohl nicht sehr da drin, wie?«
    Oh, Wolf, sie haben dich wieder in die Box gesteckt, grämte sich Jack. Es tut mir so leid – es ist meine Schuld – dies alles ist meine Schuld …
    »Es kommt nur sehr selten vor, dass die zur Hölle Verdammten die Maschinerie der Erlösung zu schätzen wissen«, hörte Jack Sunlight Gardener sagen. »Wenn die Teufel in ihnen zu sterben beginnen, fahren sie mit Geschrei heraus. Geh jetzt, Heck.«
    »Ja, Reverend Gardener.«
    Jack hörte, wie Heck den Raum verließ, aber er sah es nicht. Er wagte noch nicht, die Augen zu öffnen.
     
    2
     
    In die ungeschlachte, dilettantisch zusammengeschweißte und verriegelte Box gesteckt wie das Opfer eines verfrühten Begräbnisses in einen eisernen Sarg, heulte Wolf den ganzen Tag hindurch, hämmerte sich an den Wänden der Box die Fäuste blutig, trat mit den Füßen gegen die doppelt gesicherte Backsteinofen-Tür am unteren Ende des Sarges, bis die durch seine Beine hochschießenden Schmerzen auf die Hoden übergriffen. Durch

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