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Der Talisman

Der Talisman

Titel: Der Talisman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King und Peter Straub
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lag nur keuchend da, den Kopf auf den Händen, Richard, so leicht wie ein Blatt, auf dem Rücken. Das Wasser, jetzt kaum sechs Meter entfernt, klatschte ans Ufer. Jack konnte immer noch hören, wie Sunlight Gardener Schwachköpfe und unfähige Idioten anschrie, und seine völlig verrückte Stimme kam von irgendwo ein Stück weiter die Main Street hinauf. Der Talisman drängte ihn, drängte ihn vorwärts, vorwärts …
    Richard glitt von seinem Rücken.
    »Bist du okay?«
    Richard hob eine dünne Hand und berührte mit den Fingern die Stirn und mit dem Daumen eine Wange. »Ich denke schon. Hast du meinen Vater gesehen?«
    Jack schüttelte den Kopf. »Noch nicht.«
    »Aber er ist hier.«
    »Wahrscheinlich. Ganz sicher.« Das Kingsland, erinnerte sich Jack und sah in Gedanken die schäbige Fassade, die durchlöcherte Holztafel. Morgan Sloat hatte sich bestimmt in dem Motel verkrochen, in dem er vor sechs oder sieben Jahren so oft gewohnt hatte. Jack spürte seine Anwesenheit, als hätte das Wissen, wo er sich aufhielt, ihn heraufbeschworen.
    »Mach dir seinetwegen keine Gedanken.« Richards Stimme war so dünn wie Papier. »Ich meine, mach dir meinetwegen keine Gedanken um ihn. Ich glaube, er ist tot, Jack.«
    Jack musterte seinen Freund mit einer neuen Befürchtung: verlor Richard jetzt den Verstand? Fieber hatte er ganz offensichtlich. Weiter hügelaufwärts brüllte Sunlight Gardener in seinen Lautsprecher: »AUSSCHWÄRMEN!«
    »Du glaubst …«
    Und dann hörte Jack eine andere Stimme, deren Flüstern zuerst von Gardeners wütendem Befehl übertönt worden war. Die Stimme klang vertraut; Jack erkannte den Tonfall und das Timbre. Und seltsamerweise bewirkte der Klang dieser Stimme, dass seine Anspannung nachließ – fast so, als könnte er jetzt damit aufhören, sich Gedanken und Sorgen zu machen, weil ihm alles abgenommen wurde –, und das, noch bevor er ihren Besitzer beim Namen nennen konnte.
    »Jack Sawyer«, wiederholte die Stimme. »Hierher, Junge.«
    Es war Speedy Parkers Stimme.
    »Ja, das glaube ich«, sagte Richard; dann schloss er die zugeschwollenen Augen wieder und sah aus wie ein von der Flut angespülter Leichnam.
    Ich glaube, mein Vater ist tot, hatte Richard gesagt, aber Jacks Gedanken waren weit von den Fieberphantasien seines Freundes entfernt. »Hierher, Travelling Jack«, rief Speedy wieder, und der Junge stellte fest, dass die Stimme von der größten Gruppe von Felsbrocken kam, drei zusammenhangenden, aufrecht stehenden Säulen dicht am Ufer. Eine dunkle Linie, die Hochwassermarke, zog sich im unteren Viertel ihrer Höhe über die Steine.
    »Speedy«, flüsterte Jack.
    »Yeah-bob«, kam die Antwort. »Versuch herzukommen, ohne dass diese Zombies dich sehen. Und bring deinen Freund mit.«
    Richard lag noch immer auf dem Rücken im Sand, die Hand vor dem Gesicht. »Komm, Richie«, flüsterte ihm Jack ins Ohr. »Wir müssen ein Stückchen weiter. Speedy ist hier.«
    »Speedy?« flüsterte Richard zurück, so leise, dass Jack es kaum hören konnte.
    »Ein Freund. Siehst du die Steine da drüben?« Er hob Richards Kopf auf dem binsendünnen Hals. »Er ist dahinter. Er wird uns helfen, Richie. Und wir können ein bisschen Hilfe brauchen.«
    »Ich kann überhaupt nichts sehen«, klagte Richard. »Und ich bin so müde …«
    »Kriech wieder auf meinen Rücken.« Er drehte sich um und streckte sich flach im Sand aus. Richards Arme legten sich um seine Schultern, und seine Hände griffen schwach ineinander.
    Jack spähte hinter dem Stein hervor. Drüben auf der Küstenstraße fuhr sich Sunlight Gardener übers Haar und näherte sich der Vordertür des Kingsland Motels. Das schwarze Hotel ragte furchteinflößend empor. Der Talisman rief nach Jack Sawyer. Gardener zögerte vor der Tür des Motels, fuhr sich mit beiden Händen übers Haar, schüttelte den Kopf, machte plötzlich kehrt und schritt dann wesentlich schneller die lange Reihe der Limousinen ab. Er hob den Lautsprecher. »MELDUNG ALLE FÜNFZEHN MINUTEN!« kreischte er. »PATROUILLEN! SOFORT MELDEN, WENN SICH AUCH NUR EIN KÄFER REGT! VERSTANDEN?«
    Gardener bewegte sich von ihnen fort; alle anderen beobachteten ihn. Es war der richtige Augenblick. Jack stieß sich von den deckenden Felsen ab und rannte vornübergebeugt und Richards magere Unterarme umklammernd über den Strand. Seine Füße ließen Klümpchen von feuchtem Sand aufspritzen. Die drei zusammenhängenden Felssäulen, die so nahe zu sein schienen, als er mit Speedy sprach, schienen

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