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Der Talisman

Der Talisman

Titel: Der Talisman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King und Peter Straub
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die Kante einer der Felssäulen herum. Die Limousinen standen noch immer vor dem Hotel. Jack streckte den Kopf etwas weiter vor, um die Straße überblicken zu können. Einer der dunkelgekleideten Männer trat gerade aus der Tür des baufälligen Kingsland Motels – und Jack fiel auf, dass er versuchte, den Blick vom schwarzen Hotel abzuwenden.
    Dann schrillte eine Pfeife, hoch und beharrlich wie der Schrei einer Frau.
    »Beweg dich!« flüsterte Speedy heiser.
    Jack riss den Kopf hoch und sah am oberen Ende des grasbewachsenen Abhangs hinter den zerfallenen Häusern einen der dunkelgekleideten Männer, der in die Pfeife blies und genau in seine Richtung deutete. Dunkles Haar umwehte seine Schultern, und mit diesem Haar, dem schwarzen Anzug und der Sonnenbrille sah er aus wie ein Todesengel.
    »WIR HABEN IHN! WIR HABEN IHN!« brüllte Gardener. »ERSCHIESST IHN! TAUSEND DOLLAR DEM BRUDER, DER MIR SEINE EIER BRINGT!«
    Jack ging blitzschnell hinter dem Felsen in Deckung. Eine halbe Sekunde später prallte eine Kugel von der mittleren Säule ab, und unmittelbar darauf hörte er den Knall. Jetzt weiß ich es, dachte Jack, als er Richards Arm ergriff und ihn zum Floß zog. Erst wird man umgelegt, dann hört man den Schuss.
    »Du musst jetzt los«, flüsterte ihm Speedy in atemloser Hast zu. »In dreißig Sekunden geht die Schießerei richtig los. Bleib so lange wie möglich hinter dem Wellenbrecher, dann fahr rüber. Hol ihn, Jack.«
    Jack warf Speedy einen verängstigten, gehetzten Blick zu, als eine zweite Kugel vor ihrer kleinen Bastion in den Sand schlug. Dann schob er Richard vor das Floß und stellte mit einiger Genugtuung fest, dass er geistesgegenwärtig genug war, die Gummistränge der Mähne zu ergreifen und sich daran festzuhalten. Speedy hob die rechte Hand zu einer Geste, die Winken und Segen zugleich war. Auf den Knien gab Jack dem Floß einen Schub, der es fast ans Wasser heranbrachte. Wieder hörte er das Schrillen der Pfeife. Dann sah er zu, dass er auf die Füße kam, und er rannte noch, als das Floß ins Wasser glitt; als er sich hinaufzog, war er nass bis zum Gürtel.
    Jack paddelte stetig am Wellenbrecher entlang. Als er sein Ende erreicht hatte, bog er in das ungeschützte Wasser ein und paddelte weiter.
     
    4
     
    Von da an konzentrierte sich Jack aufs Paddeln und verdrängte entschlossen jeden Gedanken daran, was er tun würde, wenn Morgans Männer Speedy umbrachten. Er musste unter die Pfähle gelangen, das war alles, was zählte. Eine Kugel schlug ins Wasser und ließ ungefähr anderthalb Meter links von ihm eine Fontäne aufspritzen. Eine weitere hörte er vom Wellenbrecher abprallen. Jack paddelte nach Leibeskräften. Einige Zeit verstrich, er wusste nicht wie viel. Endlich rollte er sich seitlich vom Floß herunter und schwamm an sein hinteres Ende, um es mit Scherenschlägen seiner Beine noch schneller voranzuschieben. Eine kaum wahrnehmbare Strömung trieb ihn seinem Ziel entgegen. Endlich näherte er sich den Pfählen, hohen, verkrusteten Holzsäulen, so dick wie Telefonmasten. Jack hob das Kinn aus dem Wasser und sah, wie das Hotel unendlich groß über der breiten, schwarzen Plattform emporragte, sich über ihm türmte. Er warf einen Blick nach hinten und rechts, aber Speedy hatte sich nicht bewegt. Oder doch? Speedys Arme sahen anders aus. Vielleicht …
    Auf dem grasbewachsenen Abhang hinter der Reihe zerfallener Häuser bewegte sich etwas. Jack schaute genauer hin und sah vier der dunkelgekleideten Männer auf den Strand zurennen. Eine Welle schlug gegen das Floß, und er hätte es beinahe losgelassen. Richard stöhnte. Zwei der Männer zeigten aufgeregt in seine Richtung. Ihre Münder bewegten sich.
    Eine weitere hohe Welle ließ das Floß schaukeln und drohte es wieder an den Strand zurückzutreiben.
    Eine Welle, dachte Jack, was für eine Welle?
    Er blickte über das vordere Ende des Floßes hinweg, als es wieder in ein Wellental tauchte. Der breite graue Rücken von etwas, das für einen gewöhnlichen Fisch entschieden zu groß war, versank unter der Oberfläche. Ein Hai? Jack dachte voller Unbehagen an seine Beine, die hinter ihm im Wasser hingen. Er tauchte den Kopf ins Wasser, gewärtig, einen langen, zigarrenförmigen Bauch mit Zähnen auf sich zuschwimmen zu sehen.
    Das sah er nicht, aber was er sah, verblüffte ihn.
    Im Wasser, das hier sehr tief zu sein schien, wimmelte es wie in einem Aquarium, aber in einem, das keine Fische von normaler Größe oder normalem Aussehen

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