Der Talisman
stoßen«, wiederholte Jack. »Komm schon, Richard. Ich brauche deine Hilfe.«
Es schien zu funktionieren. Richard öffnete mühsam das linke Auge und legte die rechte Hand auf den Rand des Floßes. Als sie näher an den dicken Pfahl herantrieben, streckte er die Hand aus, um sie fernzuhalten. Dann gab etwas an dem Pfahl ein schmatzendes Geräusch von sich – es klang, als öffneten sich nasse Lippen.
Richard stöhnte auf und zog die Hand zurück.
»Was war das?« fragte Jack, und Richard brauchte nicht zu antworten – jetzt sahen sie beide die schneckenähnlichen Geschöpfe, die an den Pfählen klebten. Ihre Augen und ihre Mäuler waren geschlossen gewesen. Jetzt waren sie aufgestört, krochen herum und zeigten die Zähne. Jack streckte die Hände ins Wasser und schwang den Bug des Floßes um den Pfahl herum.
»O Gott«, sagte Richard. In den winzigen, lippenlosen Mäulern saßen zahllose Zähne. »Gott, ich schaffe das nicht.«
»Du musst es schaffen, Richie«, sagte Jack. »Hast du nicht gehört, was Speedy unten am Strand gesagt hat? Vielleicht ist er jetzt schon tot, Richard, und wenn er tot ist, dann ist er gestorben, weil er mich wissen lassen wollte, dass ich dich unbedingt in das Hotel mitnehmen muss.«
Richard hatte die Augen wieder geschlossen.
»Und mir ist es gleich, wie viele Schnecken wir töten müssen, um die Leiter hinaufsteigen zu können. Und du wirst hinaufsteigen, Richard. Daran führt kein Weg vorbei.«
»Du kannst mich mal«, sagte Richard. »Und hör auf, mich so anzuquasseln. Ich habe deine Großmäuligkeit satt. Ich weiß, dass ich die Leiter hinaufsteigen werde, wo immer sie sein mag. Ich weiß nur nicht, ob ich es schaffe. Also geh zum Teufel.« Richard hatte diese ganze Rede mit geschlossenen Augen hervorgestoßen. Jetzt öffnete er mühsam beide Augen. »Spinner.«
»Ich brauche dich«, sagte Jack.
»Spinner. Ich steige die Leiter hinauf, du Arschloch.«
»Dann sollte ich sie lieber finden«, sagte Jack, paddelte das Floß zur nächsten Pfahlreihe und sah sie.
6
Die Leiter hing zwischen den beiden inneren Pfahlreihen herab; sie endete einen guten Meter über der Wasseroberfläche. Ein undeutliches Rechteck an ihrem oberen Ende ließ eine Falltür vermuten, die Zugang zur Plattform bot. In der Dunkelheit war es nur der Geist einer Leiter, kaum zu erkennen.
»Jetzt wird’s ernst, Richie«, sagte Jack. Er steuerte das Floß behutsam am nächsten Pfahl vorbei, damit es nicht dagegenschrammte. Die Hunderte von schneckenartigen Geschöpfen, die an dem Pfahl klebten, bleckten die Zähne. Sekunden später glitt der Kopf des Pferdes unter die Leiter. Jack konnte hochlangen und die unterste Sprosse ergreifen. »Okay«, sagte er. Er band zuerst einen Ärmel seines nassen Hemdes an die Sprosse, dann den anderen um den steifen Gummischweif des Pferdes. Damit war zumindest sichergestellt, dass das Floß noch da war – wenn sie je wieder aus dem Hotel herauskamen. Jacks Mund wurde plötzlich trocken. Der Talisman sang, rief nach ihm. Er stand vorsichtig im Floß auf und ergriff die Leiter. »Du zuerst«, sagte er. »Es wird nicht einfach sein, aber ich helfe dir.«
»Brauche keine Hilfe«, sagte Richard. Als er aufstand, wäre er beinahe vornübergekippt und hätte das Floß kentern lassen.
»Immer sachte.«
»Selber sachte.« Richard streckte beide Arme aus, um das Gleichgewicht wieder zu finden. Sein Mund war verkniffen. Er sah aus, als hätte er Angst zu atmen. Dann tat er einen Schritt vorwärts.
»Gut.«
»Arschloch.« Richard setzte den linken Fuß vor, hob den rechten Arm, setzte den rechten Fuß vor. Jetzt konnte er, angestrengt blinzelnd, mit den Händen die Unterkante der Leiter finden. »Siehst du?«
»Okay«, sagte Jack und hob beide Hände mit offenen Handflächen und ausgestreckten Fingern vor die Brust, um anzudeuten, dass er nicht vorhatte, Richard mit dem Angebot tatkräftiger Unterstützung zu beleidigen.
Richards Hände umklammerten die Leiter, und seine Füße glitten vorwärts und zogen das Floß mit sich. Eine Sekunde später hing er halb über dem Wasser – nur Jacks Hemd verhinderte, dass das Floß unter Richards Füßen wegglitt.
»Hilfe!«
»Zieh die Füße zurück.«
Richard tat es und stand wieder aufrecht, schwer atmend.
»Lass dir Hilfestellung geben, okay?«
»Okay.«
Jack kroch auf dem Floß entlang, bis er sich direkt vor Richard befand. Er stand vorsichtig auf. Richard umklammerte zitternd mit beiden Händen die unterste
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