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Der Talisman

Der Talisman

Titel: Der Talisman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King und Peter Straub
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färbte er sich völlig schwarz. Das weiße Licht war erloschen. In seinem bisher so herrlichen, todüberwindenden Innern sah er das schwarze Hotel. Auf Türmen und Giebeln und Erkern, auf den Kuppeln, die aufragten wie Warzen mit bösartigen Geschwüren, drehten sich die Wetterfahnen -Wolf und Krähe und kabbalistische Sterne.
    Willst du das neue Agincourt sein? flüsterte der Talisman. Auch ein Junge kann ein Hotel sein – wenn er es darauf anlegt.
    Die Stimme seiner Mutter, klar in seinem Kopf: Wenn du ihn nicht aus der Hand geben willst, Jacko, wenn du dich nicht überwinden kannst, ihn deinem Freund anzuvertrauen, dann kannst du bleiben, wo du bist. Wenn du es nicht fertig bringst, den Preis mit ihm zu teilen – den Preis zu riskieren –, dann brauchst du nicht nach Hause zu kommen. Oh, ich weiß, Kinder bekommen dergleichen oft genug zu hören, aber wenn es wirklich Ernst wird, liegen die Dinge anders, stimmt’s? Wenn du ihn nicht teilhaben lassen kannst, dann lass mich sterben – um diesen Preis will ich nicht leben.
    Der Talisman schien plötzlich unendlich schwer zu sein, das Gewicht von Leichen zu haben. Dennoch schaffte Jack es irgendwie, ihn anzuheben und in Richards Hände zu legen. Die Hände waren weiß und mager – aber Richard hielt ihn mühelos, und Jack begriff, dass die Schwere nur in seiner Einbildung existiert hatte, seiner krankhaften Besitzgier. Als der Talisman wieder in seinem herrlichen Weiß erstrahlte, spürte Jack, wie auch aus ihm die innere Dunkelheit wich.
    Richard lächelte, und das Lächeln verschönte sein Gesicht. Jack hatte Richard oft lächeln sehen, aber in diesem Lächeln lag ein Friede, den er noch nie an ihm bemerkt hatte; ein Friede, der sein Fassungsvermögen überstieg. Im weißen Licht des Talismans sah er, dass Richards Gesicht zwar noch verwüstet und abgezehrt aussah, aber weiter abheilte. Richard drückte den Talisman an die Brust, als wäre er ein Säugling, und lächelte Jack mit strahlenden Augen an.
    »Wenn das der Seabrook Island-Express ist«, sagte er, »dann kaufe ich mir eine Dauerkarte. Falls wir je hier herauskommen.«
    »Es geht dir besser?«
    Richards Lächeln leuchtete wie das Licht das Talisman. »Um Welten besser«, sagte er. »Und nun hilf mir auf, Jack.«
    Jack wollte ihn bei den Schultern fassen. Richard streckte ihm den Talisman entgegen.
    »Nimm du ihn wieder«, sagte er. »Ich bin immer noch ziemlich schwach, und er will zu dir. Ich spüre es.«
    Jack nahm ihn und half Richard auf. Richard legte einen Arm um Jacks Hals.
    »Bist du bereit – Kumpel?«
    »Ja«, sagte Richard. »Ich bin bereit. Aber ich glaube, der Seeweg ist versperrt. Mir war, als hörte ich bei dem großen Gerumpel die Plattform abstürzen.«
    »Wir gehen zur Vordertür hinaus«, sagte Jack. »Selbst wenn Gott von den Fenstern hier bis zum Strand eine Gangway auslegte, würde ich zur Vordertür hinausgehen. Wir schleichen uns nicht hinaus, Richie. Wir verlassen das Haus wie Gäste, die ihre Rechnung beglichen haben. Und mir ist, als hätte ich eine Menge bezahlt. Was meinst du?«
    Richard hob eine Hand; die abheilenden Wunden waren noch deutlich zu sehen.
    »Ja, wir sollten es versuchen«, sagte er. »Gib mir ein bisschen Hilfestellung.«
    Jack ergriff Richards Hand, und dann machten sie sich auf den Weg zurück durch den Gang; einer von Richards Armen lag um Jacks Hals.
    Im Gang starrte Richard fassungslos auf den Haufen toten Metalls. »Was ist das?«
    »Blechbüchsen«, sagte Jack und lächelte. »Ausrangierte Blechbüchsen.«
    »Jack, was in aller Welt hast du …«
    »Lassen wir das«, sagte Jack. Er lächelte, und er fühlte sich nach wie vor wohl; dennoch war ihm, als durchzögen wieder bis zum Zerreißen gespannte Drähte seinen Körper. Das Erdbeben war vorbei – aber draußen wartete Morgan auf sie. Und Gardener.
    Wenn schon. Alles kommt so, wie es kommen soll.
    Sie erreichten die Halle, und Richard ließ seinen Blick verwundert über die Treppe wandern, den gesprungenen Empfangstresen, die umgestürzten Trophäen und Fähnchenständer. Der ausgestopfte Kopf eines Schwarzbären steckte die Nase in ein Fach des Postregals, als röche er etwas Gutes – Honig vielleicht.
    »Donnerwetter«, sagte Richard. »Da hat nicht viel daran gefehlt, dass der ganze Bau zusammenstürzte.«
    Jack führte Richard zur Doppeltür und stellte fest, dass Richard das einfallende Sonnenlicht fast gierig genoss.
    »Bist du wirklich bereit, Richard?«
    »Ja.«
    »Dein Vater ist

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