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Der Talisman

Der Talisman

Titel: Der Talisman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King und Peter Straub
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Schaufenstern nur allzu vieler kleiner Läden verkündeten Plakate, so verblichen wie die vor den Gebrauchtwagenhandlungen: ALLE PREISE REDUZIERT! RÄUMUNGSVERKAUF! Jack sah kein Schild, mit dem eine Aushilfe gesucht wurde, und ging weiter.
    Je weiter Jack in die Stadt eindrang, desto deutlicher zeigte sich die Wirklichkeit unter der von der Sechzigern übrig gebliebenen bunten Tünche. Während er an den verblichenen Ziegelsteingebäuden entlangwanderte, wurde sein Rucksack schwerer, seine Füße lahmer. Er wäre trotzdem noch nach Dogtown gelaufen, wenn seine Füße nicht gewesen wären und der Mill Road-Tunnel. Natürlich war es kein knurrender Wolfsmensch, der dort im Dunkel lauerte – so viel war ihm inzwischen klar geworden. Niemand konnte ihn im Tunnel angesprochen haben. Die Region hatte ihn erschüttert. Zuerst der Anblick der Königin, dann der tote Junge auf der Straße mit dem halb zerschmetterten Gesicht. Dann Morgan und die Bäume. Aber das war dort gewesen, wo solche Dinge normal sein konnten – und es vielleicht sogar waren. Hier schloss die Normalität solche Phantastereien aus.
    Er stand vor einem breiten, schmutzigen Schaufenster, über dem die abgeblätterte Aufschrift MÖBELHANDLUNG auf dem Mauerwerk kaum noch zu lesen war. Er legte eine Hand über die Augen und blickte hinein. Eine Couch und ein Stuhl, beide mit einem weißen Laken abgedeckt, standen fünf Meter voneinander entfernt auf einem kahlen Holzfußboden. Jack wanderte weiter und fragte sich, ob er sich sein Essen würde erbetteln müssen.
    Ein Stück die Straße hinab saßen vor einem vernagelten Schaufenster vier Männer in einem Auto. Es dauerte einen Augenblick, bis Jack bemerkte, dass das Auto – ein alter schwarzer DeSoto – keine Reifen mehr hatte. An der Windschutzscheibe klebte ein gelbes, schulheftgroßes Blatt mit der Aufschrift SCHÖN WETTERCLUB. Die Männer drinnen, zwei vorn, zwei hinten, spielten Karten. Jack trat an das Fenster neben dem Beifahrersitz.
    »Entschuldigen Sie«, sagte er, und der ihm am nächsten sitzende Kartenspieler richtete ein graues Fischauge auf ihn. »Wissen Sie vielleicht, wo …«
    »Hau ab«, sagte der Mann. Seine Stimme klang gequetscht und verschnupft, im Sprechen ungeübt. Das Jack halb zugewandte Gesicht war mit tiefen Aknenarben übersät und wirkte irgendwie abgeflacht, fast so, als wäre jemand daraufgetreten, als der Mann noch ein Kind war.
    »Ich wollte nur fragen, ob Sie jemanden kennen, bei dem ich ein paar Tage arbeiten kann.«
    »Versuch’s in Texas«, sagte der Mann auf dem Fahrersitz, und die beiden auf dem Rücksitz brachen in Gelächter aus und verschütteten Bier über die Karten, die sie in der Hand hielten.
    »Ich hab gesagt, du sollst abhauen«, sagte der flachgesichtige, grauäugige Mann, der Jack am nächsten war. »Sonst schlag ich dich eigenhändig zusammen.«
    Und Jack begriff, dass er die Wahrheit sprach – wenn er noch einen Augenblick wartete, würde die Wut des Mannes überkochen, er würde aussteigen und ihn zusammenschlagen. Dann würde der Mann wieder in den Wagen einsteigen und eine weitere Bierdose öffnen. Rolling Rock-Dosen bedeckten den Wagenboden, geöffnete standen herum, frische wurden von weißen Plastikschlaufen zusammengehalten. Jack trat zurück, und das Fischauge wendete sich von ihm ab. »Ich versuch’s doch lieber in Texas«, sagte er. Als er weiterging, wartete er darauf, das Öffnen der Tür des DeSoto zu hören, aber das einzige, was er beim Öffnen zischen hörte, war eine weitere Bierdose.
    Er wanderte weiter.
    Er gelangte ans Ende des Häuserblocks und blickte über die andere Hauptstraße des Ortes hinweg auf einen absterbenden Rasen voll gelblichen Unkrauts, auf dem Fiberglasfiguren von Rehen wie aus einem Disneyfilm standen. Auf der Veranda eines Hauses saß eine dicke alte Frau mit einer Fliegenklatsche in der Hand und starrte ihn an.
    Jack wandte sich von ihrem argwöhnischen Blick ab und sah vor sich das letzte der leblosen Ziegelsteingebäude an der Mill Road. Drei Betonstufen führten zu einer geöffneten und festgestellten Gazetür hinauf. Ein großes, dunkles Fenster zeigte eine leuchtende BUDWEISER-Reklame und, einen halben Meter rechts davon, die gemalte Aufschrift UPDIKE’S OATLEY TAP. Und ein paar Zentimeter darunter, auf einem gelben, schulheftgroßen Blatt, genau so einem wie in dem DeSoto, standen handschriftlich die verheißungsvollen Worte AUSHILFE GESUCHT. Jack zog den Rucksack von seinen Schultern, klemmte ihn

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