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Der Talisman

Der Talisman

Titel: Der Talisman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King und Peter Straub
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ihn fragend an.
    »Kennst du das Nest?«
    »Ein wenig. Eigentlich gar nicht.«
    »Es ist ein Loch. Eines von den Nestern, wo die Leute essen, was sie auf der Straße überfahren. Sie trinken das Bier, und dann fressen sie das Glas. So ungefähr.«
    »Danke für die Warnung«, sagte Jack und stieg aus. Der Vertreter winkte und setzte den Fairlane wieder in Bewegung. Augenblicke später war er nur noch ein dunkler Fleck, der der tiefstehenden, orangefarbenen Sonne entgegenrollte.
     
    3
     
    Ein oder zwei Kilometer weit führte die Straße durch eine flache, öde Landschaft – in der Ferne sah Jack zwei hölzerne, zweigeschossige Häuser inmitten von Feldern. Die Felder waren braun und kahl, und die Häuser waren keine Farmhäuser. Weit voneinander entfernt standen sie da in einer grauen, unbewegten Stille, die nur durch das Brausen des Verkehrs auf der Interstate 90 unterbrochen wurde. Keine Kühe muhten, keine Pferde wieherten – es gab keine Tiere, keine landwirtschaftlichen Geräte. Vor einem der Häuser rostete ein halbes Dutzend ausrangierter Autos still vor sich hin. Es waren die Häuser von Männern, die ihre Mitmenschen so gründlich verabscheuten, dass sogar Oatley ihnen zu volkreich war. Die leeren Felder waren die Wälle und Gräben, die sie um ihre abblätternden Holzburgen brauchten.
    Endlich kam er an eine Straßenkreuzung. Sie sah aus wie eine Straßenkreuzung auf einer Zeichnung – zwei schmale, leere Straßen, die sich im Nichts kreuzten und dann in eine andere Art von Nichts weiterführten. Jack war nicht ganz sicher, welche Richtung er einschlagen musste, und so schob er den Rucksack auf seinem Rücken zurecht und näherte sich der hohen, rostigen Eisenstange, an der die gleichfalls rostigen schwarzen Rechtecke mit den Straßennamen angebracht waren. Hätte er sich an der Ausfahrt nach links anstatt nach rechts wenden müssen? Auf dem Schild der Straße, die parallel zum Highway verlief, stand DOGTOWN ROAD. Dogtown? Jack blickte diese Straße entlang und sah nur endlose Weite, Felder voller Unkraut und den schwarzen Streifen Asphalt. Der Streifen Asphalt, auf dem er sich befand, trug auf dem Schild den Namen MILL ROAD. Ungefähr anderthalb Kilometer entfernt verschwand er in einem Tunnel, fast völlig überwachsen von krummen Bäumen und einer dichten Matte aus Efeu. In dem Efeugewirr und offenbar von ihm gehalten hing ein weißes Schild. Die Worte waren zu klein, als dass er sie hätte lesen können. Jack steckte die rechte Hand in die Tasche und umklammerte die Münze, die Hauptmann Farren ihm gegeben hatte.
    Sein Magen äußerte sich. Er hatte Hunger, er musste von diesem Fleck verschwinden und eine Ortschaft finden, in der er sich seine Mahlzeiten verdienen konnte. Also Mill Road – er würde ihr so weit folgen, bis er sah, was am anderen Ende des Tunnels lag. Jack schob sich ihm entgegen, und bei jedem Schritt ragte die dunkle Öffnung in dem Wall aus Bäumen höher vor ihm auf.
    Kühl und feucht, nach Ziegelstaub und aufgegrabener Erde riechend schien der Tunnel den Jungen aufzunehmen und sich dann um ihn zu schließen. Einen Augenblick fürchtete Jack, dass er ihn unter die Erde führte – am Tunnelende war kein Licht zu sehen –, aber dann stellte er fest, dass der Asphaltboden eben verlief. LICHT EINSCHALTEN hatte auf dem Schild vor dem Tunnel gestanden. Jack stieß gegen eine Ziegelwand und spürte, wie lockerer Mörtel auf seine Hände rieselte. »Licht«, sagte er zu sich selbst und wünschte sich, eines zu haben, das er einschalten konnte. Offenbar machte der Tunnel irgendwo in seinem Verlauf eine Biegung. Er war vorsichtig, langsam und bedächtig genau gegen eine Mauer gelaufen, mit ausgestreckten Händen wie ein Blinder. Er tastete sich an der Mauer entlang. Wenn der Kojote in den Roadrunner-Zeichentrickfilmen das tat, endete es gewöhnlich damit, dass er von einem Lastwagen plattgewalzt auf der Straße lag.
    Irgendetwas raschelte geschäftig über den Tunnelboden, und Jack erstarrte. Eine Ratte, dachte er. Oder ein Kaninchen, das den Weg zwischen den Feldern draußen abkürzen will. Aber dem Geräusch nach war es etwas Größeres.
    Er hörte es wieder, weiter entfernt in der Dunkelheit, und tat einen weiteren blinden Schritt voran. Vor sich hörte er, nur einmal, ein Atemholen. Wieder blieb er stehen, überlegte. War das ein Tier? Jack legte die Fingerspitzen gegen die feuchte Ziegelmauer und wartete auf das Ausatmen. Es hatte sich nicht angehört wie ein Tier – Ratten oder

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