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Der Talisman

Der Talisman

Titel: Der Talisman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King und Peter Straub
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schien fast zu tänzeln und erinnerte ihn in diesem schwachen Mondlicht für einen Augenblick an eine Figur in einem Disneyfilm. Von einem verrückten Impuls getrieben, begann Jack zu lachen. Das Ding knurrte und sprang ihn an. Wieder verfehlten ihn die niedersausenden Klauen nur um Zentimeter, als er durch das Unkraut und den Müll zurückwich. Das Elroy-Ding landete auf der Bettfeder und verhakte sich irgendwie darin. Es heulte, spie weiße Schaumflocken in die Luft, zog und zerrte und mühte sich ab, um den tief in der rostigen Drahtspirale steckenden Fuß freizubekommen.
    Jack tastete in seinem Rucksack nach der Flasche. Er wühlte sich an Socken, schmutzigen Unterhosen und einem zusammengerollten, nicht mehr taufrischen Paar Jeans vorbei. Dann bekam er den Hals der Flasche zu fassen und zog sie heraus.
    Das Elroy-Ding zerriss die Luft mit einem Wutschrei und befreite sich endlich von der Bettfeder.
    Jack ließ sich auf Schlacke und Unkraut fallen und rollte sich herum, die Finger der linken Hand um einen Rucksackriemen gehakt, die Flasche in der rechten. Mit Daumen und Zeigefinger der linken Hand schraubte er am Verschluss; der Rucksack schwang und schaukelte. Der Verschluss löste sich.
    Ob es mir folgen kann? dachte er flüchtig, als er die Flasche an die Lippen hob. Wenn ich verschwinde, bleibt dann ein Loch in der Mitte von Irgendetwas? Ein Loch, durch das es mir folgen kann, um mir auf den anderen Seite den Rest zu geben?
    Jacks Mund füllte sich mit dem fauligen Geschmack toter Trauben. Er würgte, sein Schlund krampfte sich zusammen, der widerliche Geschmack füllte auch seine Nase und seine Nebenhöhlen, und er seufzte tief und gequält. Er konnte das Elroy-Ding brüllen hören, aber das Gebrüll schien jetzt weit weg, als befände es sich an einem Ende des Oatley-Tunnels und er, Jack, stürzte dem anderen Ende entgegen. Und diesmal war ihm tatsächlich, als stürzte er, und er dachte: Oh, mein Gott, was ist, wenn ich mich gerade über eine Klippe oder einen Berghang hinunter geflippt habe?
    Die Augen vor Verzweiflung zusammengekniffen, hielt er Rucksack und Flasche fest und wartete darauf, was als nächstes passieren mochte – das Elroy-Ding oder nicht das Elroy-Ding, die Region oder das Ende –, und der Gedanke, der ihn schon den ganzen Abend verfolgt hatte, tauchte wieder auf wie ein Karussellpferd – Silver Lady, vielleicht Ella Speed. Er fing ihn ein und ritt darauf in einer Wolke aus dem grässlichen Geruch des Zaubersaftes, hielt ihn fest. Wartete darauf, was als nächstes passieren würde, und spürte, wie sich seine Kleider veränderten.
    Sechs oh ja wir waren alle sechs und niemand war etwas anderes und es war Kalifornien wer spielt das Saxophon Daddy ist es Dexter Gordon oder ist er es nicht was meint Mom damit wenn sie sagt wir leben auf einer Verwerfung und wo warst du oh wo gehst du hin Daddy du und Onkel Morgan oh Daddy manchmal sieht er dich an als als als wäre eine Verwerfung in seinem Kopf und als bräche ein Erdbeben hinter seinen Augen aus und es kostet dich das Leben oh Daddy!
    Stürzend, sich drehend und windend in der Mitte zwischen hier und dort, in der Mitte eines Geruchs, der einer purpurnen Wolke glich, Jack Sawyer, John Benjamin Sawyer, Jacky, Jacky war sechs, als alles begann, und wer spielte das Saxophon, Daddy? Wer spielte es, als ich sechs war, als Jacky sechs war, als Jacky …

 
Elftes Kapitel
     
    Der Tod von Jerry Bledsoe
     
    1
     
    … sechs war – als es in Wirklichkeit anfing, Daddy, als sich die Lokomotiven, die ihn schließlich nach Oatley und darüber hinaus zogen, in Bewegung zu setzen begannen? Da war laute Saxophonmusik gewesen. Sechs. Jacky war sechs. Zuerst hatte seine Aufmerksamkeit nur dem Spielzeug gegolten, das sein Vater ihm geschenkt hatte, dem maßstabgetreuen Modell eines Londoner Taxis – das Spielzeugauto war schwer wie ein Ziegelstein, und auf dem glatten Parkett des neuen Büros genügte ein tüchtiger Schub, um es quer durchs ganze Zimmer rollen zu lassen. Spätnachmittag, ein Tag Ende August, ein Tag im ersten Schuljahr, ein feines Auto, das auf dem glatten Holz hinter der Couch rollte wie ein Panzer, eine zufriedene, entspannte Atmosphäre – keine eilige Arbeit mehr zu erledigen, keine Telefongespräche, die nicht bis morgen Zeit hatten. Sein Vater hatte die Füße auf den Schreibtisch gelegt, und Onkel Morgan hatte sich in einem Sessel auf der anderen Seite der Couch niedergelassen. Beide hatten einen Drink vor sich; bald würden

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