Der Tanz der besseren Gesellschaft (German Edition)
und versetzte meine Eltern in nicht gelindes Erstaunen, als ich nach dem Dinner erklärte, etwas müde zu sein und sofort zu Bett gehen zu wollen, um noch so viele Seiten wie möglich lesen zu können; dabei warf ich Hanna, die schon seit Jahren den Status eines Familienmitglieds hatte und immer mit uns aß, einen frechen Blick zu, der ihr schon wieder die Röte ins Gesicht steigen ließ. Meine Eltern merkten glücklicherweise nichts davon. Mein Vater merkte lediglich an, dass er sich über meine Literaturbegeisterung freue, und brachte mich in gehörige Verlegenheit, als er sich erkundigte, welches Buch denn gerade derart meine Aufmerksamkeit fessle. Ich stopfte mir schnell ein ganzes Keks in den Mund und kaute ausgiebigst darauf herum, um mir Zeit zum Überlegen zu verschaffen. Schließlich kam ich auf die Abenteuer von Tom Sawyer, die ich zwar bereits gelesen hatte, die aber immer noch auf meinem Nachttisch lagen, und erntete ein zufriedenes, zustimmendes Nicken meines Vaters. "Ein wirklicher Klassiker", brummte er, "genau die richtige Anregung für einen Jungen in deinem Alter."
So rasch es ging brachte ich die restlichen Formalitäten hinter mich: Mama küssen, Papa umarmen, artig eine gute Nacht wünschen, waschen, Zähne putzen, Pyjama anziehen. Auch ohne es eigens erwähnt zu haben, war Hanna völlig klar, dass ich sie in der Hand hatte – selbst die kleinste Andeutung von dem, was in der Bibliothek vorgefallen war, würde ihr Ende als Kindermädchen bedeuten. Und Hanna wusste auch, dass ich das wusste. So fügte sie sich mit hängenden Schultern ins Unvermeidliche und schlüpfte zu mir ins Bubenzimmer, um mit dem abendlichen Vorlesen zu beginnen; jede Abweichung von diesem Ritual hätte sofort Verdacht erregt und Erklärungen gefordert. Ohne mich anzusehen beugte sie sich über mich, um den Tom Sawyer zu erwischen; der Anblick ihrer Brüste, die sich unter ihrem dünnen Pullover abzeichneten, gefühlte zwei Zentimeter vor meinen Augen, raubte mir den Atem. Deshalb ließ ich sie auch gewähren, obwohl ich natürlich genaue Vorstellungen hatte, aus welchem Buch mir Hanna vorlesen sollte.
Ich beugte mich ebenfalls in Richtung des Tom Sawyer, vorgeblich um ihr zur Hand zu gehen, in Wahrheit um eine wenn auch noch so winzige, "zufällige" Berührung mit ihrem warmen, duftenden Körper herbeizuführen; tatsächlich gelang es mir, ihre linke Brust außen mit meinem Oberarm zu streifen, und beinahe hätte ich schon wieder ejakuliert. Derart ermutigt und erregt wagte ich es, meine Hand auf die ihre zu legen, die gerade dabei war, meinen Alibi-Lesestoff zu ergreifen. "Nicht dieses Buch, Hanna. Du weißt genau, was du mir vorlesen sollst."
Hanna schrumpfte ein wenig in sich zusammen, ließ sich dann aber in den Sessel neben meinem Bett zurückfallen und griff hinter sich: Wie die Gangster in den amerikanischen Filmen ihre Kanonen hatte sie sich den Tanz der besseren Gesellschaft am Rücken hinter den Gürtel und unter den Pullover gesteckt, wohl wissend, dass es nur auf die Fortsetzung dieser so speziellen Lektüre hinauslaufen hatte können.
"Michael", sagte sie mit rauer Stimme, "wo soll das hinführen?" Doch dann schlug sie das Buch auf und setzte mit dem zweiten Kapitel fort.
Kapitel Zwei
Sündhafte Töchter
Der Salon der verwitweten Obergerichtsrätin von Büstenvoll strahlte in seinem besten Licht, wie um seine Freude über die Gesellschaft zu verkünden, die er heute beherbergte.
Am ovalen Tisch hatten sich an die zehn Damen zum ungezwungenen Tratsch versammelt. Offenbar handelte es sich um Mütter und deren Töchter, die von der Rätin zum Tee geladen worden waren.
Von Büstenvoll, eine mehr als stattliche, mit hoch ansetzenden überquellenden Brüsten ausgestattete Erscheinung, machte die Gastgeberin und kredenzte ihren Gästen eigenhändig süße Naschereien, Backwerk und Konfekt.
Die Stimmung war ausgezeichnet, die Plaudereien scherzhaft und von keinerlei Missgunst getrübt. Man sprach von diesem und von jenem, wiewohl zumeist eher von jenem. Der Abend, die lustige Teegesellschaft, konnte getrost als rundum gelungen bezeichnet werden.
Daran änderte auch der vielleicht befremdlich wirkende Umstand nichts, dass auch zwei Herren anwesend waren und man also gar nicht von einer reinen Damengesellschaft sprechen dürfte. Frau von Büstenvoll nahm es damit jedoch nicht allzu genau: Herren, die sich gerne in Damengesellschaft bewegten und auch von dieser willkommen geheißen wurden und die sich in die
Weitere Kostenlose Bücher