Der Tanz Der Klingen
den ganzen Tag. Es kam einem Wunder gleich, dass überhaupt noch welche in seinem Mund geblieben waren. Seine Hände fühlten sich so taub an, dass er bei einem Versuch zu kämpfen wohl das Schwert fallen gelassen und sich die eigenen Zehen abgeschnitten hätte.
Die Lichter erwiesen sich als große, neben einem hohen Bogen angeordnete Laternen. Dahinter erstreckte sich das Torvorwerk, ein von kleineren Lampen erhellter Tunnel. Hufe hallten auf Kopfsteinpflaster wider. Es war eine höchst angenehme Erfahrung, aus dem Regen und in unvermittelte Stille zu gelangen. Unwillkürlich schaute Glockmann empor und sah eine dunkle Spalte, die sich von Seite zu Seite über das Tonnendach zog. Sogleich war ihm klar, dass beim geringsten Verdacht auf eine Ungereimtheit ein Fallgitter herabsausen würde. Außerdem bemerkte er hoch oben an den Wänden Öffnungen im Mauerwerk, hinter denen Bogenschützen lauern mochten. Das von den überragendsten Soldaten Euraniens bemannte Vamky-Kloster war das vielleicht am besten gesicherte Bollwerk auf dem ganzen Kontinent. Und er hoffte, es zu knacken!
Vor ihnen, ein scheinbar langes Stück innerhalb der Falle, endete der Pfad an einem mächtigen Holztor. Es wirkte eine Achtelmeile dick. Unmittelbar davor zügelte Radu das Pferd neben einem hohen, schmalen Lanzettfenster, aus dem fahles Licht drang.
»Torwache!«, brüllte er. »Nein, Bruder, schwarze und grüne Oliven stammen vom selben Baum.«
Glockmann versuchte, seiner Stimme einen steten Klang zu verleihen. »Dann ist es wohl die Essiglake, die ihre Farbe ändert, richtig?«
»Losungswort?« Die Stimme ertönte aus weiter Ferne hinter einer unvorstellbar dicken Mauer hervor. Ein Kopf verdunkelte den Lichtschlitz.
»Lied des Westens«, gab Radu zurück. »Und deines, Bruder?«
»Drehendes Rad. Und uns ist bitterkalt. Macht schnell, oder ich reiche Beschwerde ein.«
Das Gesicht verschwand. Radu plauderte weiter. »Mit Wein verhält es sich ganz anders. Aus roten Trauben entsteht Rotwein, aus schwarzen …«
Dies war der Augenblick, der über Leben oder Tod entschied. Mehr als ein Augenblick … mehrere Minuten. Der höchste Beweis von Mut, hatte Großmeister dereinst gemeint, musste es sein, vor Angst zu sterben. Seltsamerweise begann diese Äußerung nun, Sinn zu ergeben.
»Torwache!«, brüllte Radu erneut. »Sind da drinnen etwa alle tot?«
Oder waren sie hier draußen schon tot, ohne es zu wissen? Als Glockmann mit belanglosem Geschwafel an der Reihe war, fiel ihm über Wein rein gar nichts ein. »Was machen sie denn mit den Ausscheidungen?«
»Novizen bringen sie in Schubkarren hinaus und verfrachten sie auf Karren, um sie als Dung an Bauern zu verkaufen. Warum?«
»Ist mir nur so durch den Kopf gegangen.« Tatsächlich hatte er überlegt, ob er einen Weg übersehen hatte, um unbemerkt ins und aus dem Kloster zu gelangen, aber offenbar hatte die Bruderschaft auch daran gedacht. Alle Lieferkarren wurden vor dem Tor auf Handwagen entladen, hatte Radu ihm erklärt. »Warum solche Vorsichtsmaßnahmen in einem Land, in dem Frieden herrscht? Wen fürchten sie?«
»Es ist eine Übung für andere Orte. Redet gefälligst von belangloseren Dingen.«
Weiteres qualvolles Warten. Es konnte doch nicht so lange dauern, zwei Karten in einer Schublade zu finden, oder?
»In Isilond gibt es eine Köstlichkeit namens ›Trüffel‹«, meinte Glockmann. »Sie wird von Schweinen aufgespürt und …«
Radu verlor die Nerven. »Das dauert zu lange! Aus dem Staub!« Er wirbelte das Pferd herum, aber er überraschte das erschöpfte Tier damit, weshalb es um ein Haar stolperte.
An dieser Stelle musste Glockmann entscheiden, ob er mit ihm fliehen oder es allein versuchen wollte. Das hatten sie im Voraus abgemacht – ob er flüchten oder bleiben und den Alleingang probieren wollte, lag letztendlich ganz bei ihm. Doch er war so überrascht, dass er sich wie eine Klinge verhielt und das Schwert zückte. Wodurch es kein Zurück mehr gab. »Was ist denn los?«, gellte Glockmann. Er wendete die Stute, hielt sie jedoch davon ab, Radu zu folgen. »Wohin willst du? Komm sofort zurück!«
Radu hatte sein Pferd mittlerweile in Bewegung gesetzt und trieb es mit den Sporen an, aber es brachte nur einen müden Trab zustande, was zu langsam war. Mit einem Donnerschall, der das Kloster und den Berg zu erschüttern schien, sauste eine Holzwand vor ihm herab und versperrte ihm den Ausgang.
3
Es war eine üble Nacht voll Regen, Wind und Sorge. Ringwald gab Trudy einen
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