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Der Tanz des Maori (epub)

Titel: Der Tanz des Maori (epub) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emma Temple
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gehen?

31.
    Die Uhr hatte noch nicht einmal neun geschlagen, als Brandon vor der Haustür von Ruiha stand. Der blaue Lack platzte schon an einigen Stellen ab und zeigte, dass die Tür irgendwann einmal weiß gewesen sein musste. Brandon zögerte. Was erhoffte er sich von der Alten? Eine Erklärung, warum sie solche Märchen über seinen Großvater verbreitete? Die Gewissheit, dass George vor sechzig Jahren nicht nur unter einem anderen Namen gelebt hatte, sondern auch ein anderer Mensch war?
    Nach einem kurzen Moment des Zögerns zuckte er ganz leicht die Schultern und griff an den Türklopfer. Der bronzene Ring lag schwer in seiner Hand, als er ihn bewegte. Wahrscheinlich hatte schon Ava in den Zwanzigerjahren diesen Ring, der von zwei Delfinen umfasst wurde, in der Hand gehalten. Das dumpfe Klopfen dröhnte durch das Haus. Nichts rührte sich. Brandon ließ den Ring erneut auf das Holz schlagen. Nichts. Keine schlurfenden Schritte, keine knarzende Treppe. Bis zu diesem Augenblick hatte Brandon keine Sekunde darüber nachgedacht, was er wohl machen wollte, wenn Ruiha nicht zu Hause war. Erst jetzt fragte er sich, ob sie vielleicht bei einem ihrer Kinder zu Besuch war – oder auch einfach nur zum Einkaufen. Ratlos drehte er sich wieder um.
    Eine Nachbarin, die gerade mit ihrer kleinen Tochter die Straße entlangging, winkte ihm zu. »Ich habe sie gestern Abend noch gesehen. Sie muss zu Hause sein! Vielleicht klopfen Sie noch einmal – Ruiha hört nicht mehr so gut!«, rief sie ihm zu.
    Brandon nickte, drehte sich um und klopfte noch einmal. Das Resultat blieb das Gleiche. Nichts rührte sich. Vorsichtig ging Brandon um das Haus herum und spähte in die Fenster. Dabei fühlte er sich wie ein Einbrecher. Auf dem Küchentisch stand eine geblümte Kaffeetasse. Wenn Ruiha in Urlaub gefahren wäre, dann hätte sie die doch aufgeräumt? Brandon sah in das nächste Fenster. Eine kleine Bibliothek, leer. Dann stand er auf der Veranda und sah in das Wohnzimmer hinein. Einen Augenblick lang konnte er nichts Auffälliges entdecken. Die Topfblumen waren gut gegossen, die Zeitung lag in einem ordentlichen Stapel neben der Couch, der Fernseher war ausgeschaltet. Brandon wollte sich schon beruhigt abwenden, als ihm plötzlich eine blau-rot karierte Decke auf dem alten Sessel am Kamin auffiel. Er sah etwas genauer hin. Unter der Decke war ein Körper zu erkennen. Der Kopf war hinter der Lehne verborgen. Brandon klopfte mit dem Knöchel gegen die Glastür. Erst leise, dann lauter. Die Gestalt unter der Decke rührte sich nicht. Mit einem Mal wurde es Brandon eiskalt. Was, wenn die alte Frau dringend Hilfe benötigte. Er klopfte noch einmal. »Ruiha? Mrs. Wharekawa?«
    Nichts rührte sich.
    Versuchsweise drückte Brandon jetzt gegen die Glastür. Sie gab nicht nach. Gutes, solides Handwerk.
    Er sah sich die Fenster im Erdgeschoss noch einmal genauer an. Diesmal hatte er Erfolg. Das Fenster in der Küche war gekippt. Schnell griff er durch den Spalt, legte den Hebel um und öffnete das Fenster vorsichtig nach innen. Zum Glück hatte Ruiha nichts Zerbrechliches auf dem Fensterbrett abgestellt, so segelten nur ein paar Zeitungen und Notizzettel auf den Boden.
    Brandon sprang durch das Fenster und lief so schnell er konnte zum Wohnzimmer. Von der Tür aus konnte er erkennen, dass es wirklich Ruiha war, die so bewegungslos auf ihrem Sessel lag. Er klopfte noch einmal an den Türrahmen und rief leise: »Ruiha!?« Aber wieder zeigte die alte Frau keine Reaktion.
    Brandon ging langsam näher und legte ihr vorsichtig die Hand auf den Arm, um sie zu wecken. Erschrocken zog er seine Hand zurück. Der Arm war eiskalt. Ruiha hatte die Augen geschlossen, ein leichtes Lächeln spielte um ihre Lippen – aber sie schien nicht mehr zu atmen. Brandon legte ihr die Finger an den kalten Hals. Er spürte keinen Puls mehr. Das Herz der großen Kriegerin hatte in dieser Nacht aufgehört zu schlagen.
    Ratlos sah Brandon einen Moment auf sie herab. Dann griff er zu dem Telefon, das auf dem kleinen Couchtisch stand und wählte erst die Notrufnummer. Als ihm versichert wurde, dass ein Notarzt unterwegs war, wählte er die Nummer von Hakopa. Er war sich sicher, dass die Notärzte nur noch Ruihas Tod feststellen würden.
    Hakopa war zum Glück in seinem kleinen Büro und meldete sich sofort. »Ja?«
    Â»Hier ist Brandon. Du musst

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