Der Tanz des Maori (epub)
küssten sich noch einmal â und nur wenig später wurde Sina beim Start der Maschine in ihren Sitz gepresst.
Für die nächsten Stunden blieb ihr nichts anderes, als von der letzten Nacht mit Brandon zu träumen. Das erschien ihr sehr viel spannender als jeder Film, den die Fluggesellschaft als Entertainment anbot.
10.
Direkt hinter der Zollkontrolle warteten Sinas Mutter und Katharinas Bruder auf sie. Katharina nahm ihre Freundin in den Arm und drückte sie fest an sich. »Lass dich nicht unterkriegen. Ruf mich an, wenn du weiÃt, wie es deinem GroÃvater geht!« Statt einer Antwort nickte Sina nur. Zu groà war der Kloà in ihrem Hals â jetzt, in diesem Moment, war ihr lang erträumter Urlaub also tatsächlich zu Ende. Katharina winkte ihr noch ein letztes Mal zu, hakte sich bei ihrem Bruder unter und verschwand durch die groÃen Drehtüren. Sina wagte es endlich, ihre Mutter anzusehen. »Wie geht es ihm?«, fragte sie.
Fast unmerklich schüttelte ihre Mutter den Kopf. »Nicht gut. Er ist schrecklich verwirrt, bringt Dinge aus der Vergangenheit mit der Gegenwart durcheinander. Wir sollten noch heute ins Krankenhaus fahren, wenn du ihn noch einmal â¦Â« Ihre Stimme versagte, sie brach mitten im Satz ab. Ihre Tochter verstand sie auch so.
»Lass uns sofort zu ihm fahren. Ich kann auch heute Abend noch duschen â und ausschlafen kann ich die ganzen nächsten Tage.« Ihre Mutter schien froh über Sinas Entscheidung zu sein und griff nach dem Rucksack.
»In Ordnung. Hoffentlich erwischen wir einen hellen Moment. Er ist oft wie weggetreten, erzählt von früher oder fantasiert, ich weià es nicht. Dann hat er wieder ganz klare Momente ⦠Die Schwestern sagen, das liegt an der hohen Dosis Morphium, die sie ihm geben müssen.«
Sina nickte. Sie hatte schon zu oft in einem Krankenhaus gearbeitet, sie wusste, was ihre Mutter ihr sagen wollte. Schweigend fuhren sie die halbe Stunde zu dem grauen Zweckbau aus den Achtzigerjahren, in dem das Krankenhaus untergebracht war. Eigentlich hatte Sina vorgehabt, ihrer Mutter sofort von Brandon zu erzählen â aber jetzt erschien ihr das irgendwie unpassend.
Als sie ihren GroÃvater in seinem Bett sah, fuhr ihr ein Schrecken in die Glieder. Hubertus Gehrling war immer ein kräftiger Mann gewesen, der Patriarch der Familie. Jetzt war er in sich zusammengefallen, es wirkte fast so, als sei er geschrumpft. Seine Augen waren geschlossen. Sina ging langsam zu seinem Bett und nahm vorsichtig seine Hand.
»Opa?«
Seine Augenlider flatterten. Dann öffnete er sie und sah Sina aus bernsteinfarbenen Augen an. Ein glückliches Lächeln breitete sich in seinem faltigen Gesicht aus. »Mein Liebling!«
Sina nickte. »Ich bin gerade eben aus Neuseeland zurückgekommen â und wollte dich unbedingt sofort sehen. Wie fühlst du dich?«
»Jetzt, wo du vom anderen Ende der Welt gekommen bist, geht es mir schon viel besser. Ich habe dich so vermisst, mein Schatz.«
Sina sah ihre Mutter fragend an. Wusste er, mit wem er gerade sprach? Ihre Mutter zuckte unmerklich mit den Achseln.
Sina drückte seine Hand etwas fester.
»Ich bin es, Sina. Erkennst du mich, Opa?«
Er nickte nachdrücklich. »Wie könnte ich dich nicht erkennen. Du bist das Glück meines Lebens gewesen. Mein Geschenk, mit dem ich nicht gerechnet habe. Ach, Evchen, wir sind füreinander geschaffen, nicht wahr?«
Verblüfft sah Sina ihn an. »Ich bin nicht Evchen«, sagte sie vorsichtig.
Er lachte. Ein raues, heiseres Lachen, das in einen heftigen Husten überging. Er rang nach Atem, bevor er ihr antwortete. »Du hattest schon immer einen eigenwilligen Humor. Wenn ich dich nicht mehr erkennen würde, dann wäre es doch wirklich schlimm um mich bestellt.« Sein Blick wanderte über ihr Gesicht. »Erinnerst du dich an diesen herrlichen Frühlingstag im Zoo? Sicher, es war Krieg â aber du warst schwanger und sahst so wunderschön aus. Du hast mir nicht geglaubt, dass ich dich so sehr liebe ⦠Immer hast du mich so fragend angesehen. Aber jetzt kann ich es dir noch einmal sagen: Du bist die schönste Frau der Welt. Mein Evchen.«
»Ich bin Sina!«, erinnerte seine Enkeltochter ihn mit etwas mehr Nachdruck.
Er schüttelte lächelnd den Kopf. »Nein. Ich weiÃ, du hast immer gerne deine Spielchen gespielt. Dein groÃes Geheimnis, das du mit
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